Kaum haben Anne Betz, Marilena Lutz und Torben Schultz die Kisten mit Obst und Gemüse in das Holzregal geräumt, stehen schon zwei Damen mit Tasche und Einkaufstrolley bereit. Sie freuen sich, dass sie beim Palmenhaus am Fairteiler kostenlos Lebensmittel mitnehmen dürfen. Damit retten sie die Ware vor dem Mülleimer oder der Verbrennungsanlage.
Denn was hier in die Regale kommt, darf nicht mehr regulär verkauft werden, ist aber noch zu gut, um weggeschmissen zu werden. So kümmern sich Anne Betz, Marilena Lutz und Torben Schultz mit rund 170 weiteren ehrenamtlichen Lebensmittelrettern in Konstanz darum, dass Obst, Gemüse und Backwaren noch ihre Abnehmer finden. Verderbliches dürfen sie nicht in den Fairteiler stellen.
„Wir kooperieren unter anderem mit dem Konstanzer Wochenmarkt, mit zwei Bäckereien und Bio-Supermärkten“, sagt die 24-jährige Psychologie-Studentin Anne Betz. Was dort übrig bleibt, holen die Lebensmittelretter mit Fahrrad und Anhänger ab. Autos sind verboten – außer bei Spezialeinsätzen wie nach dem Ende des Weihnachtsmarkts.
Jeder darf mitnehmen, so viel er will
Ist die Ware eingesammelt, versuchen die Ehrenamtlichen, sie unter Bekannten und Verwandten zu verschenken. Ein Teil wird in die öffentlich zugänglichen Regale beim Palmenhaus und mittwochs beim Treffpunkt Petershausen abgelegt.
„Dort kann jeder gratis holen, so viel er will“, sagt Torben Schultz, 35-jähriger Ingenieur der Stadtwerke Konstanz. „Anders als bei der Tafel schauen wir nicht auf Bedürftigkeit, sondern es geht nur darum, dass Lebensmittel nicht verschwendet werden.“
Gern würden weitere Betriebe die Dienste der Lebensmittelretter nutzen. Doch deren Kapazitäten sind erschöpft. „Auch bei uns fehlt es, wie überall, an Ehrenamtlichen“, sagt Anne Betz. „Das liegt auch daran, dass wir fast nie abends Lebensmittel abholen dürfen, sondern meist mittags. Und viele von uns sind Studierende. Gerade erst sind zehn aktive Helfer weggezogen.“
Essen mit Makel? Ab in die App!
Doch nicht nur die Botschafter von Foodsharing möchten die Lebensmittelverschwendung eindämmen. Auch Edeka Baur ist dieses Thema wichtig.
Seit Frühsommer 2022 beteiligt sich das Unternehmen an einer App (Anwendung auf dem Smartphone) namens „too good to go“ und bietet über diese Plattform Lebensmittel günstiger an, die wegen leichter Makel nicht mehr verkauft werden dürfen, aber in Qualität und Geschmack keine Einbußen haben.
Die Kunden nehmen das Angebot dankbar an: „Unsere Obst- und Gemüsekisten sind immer weg“, sagt Kathrin Hofer. „Wir bieten jeden Tag zehn Kisten an, mittwochs und samstags sogar 20.“
Auch sonst achte Edeka darauf, möglichst wenig wegzuschmeißen: „Täglich kommen Mitarbeiter der Konstanzer Tafel vorbei, um Lebensmittel abzuholen“, so Hofer. Auch die Edeka-Angestellten dürfen einen Teil der überschüssigen Ware mitnehmen. „Was nicht mehr genießbar ist, müssen wir leider entsorgen. Aber die Menge ist überschaubar, da unsere Mitarbeiter sehr gut einschätzen können, wie viel sie bestellen müssen“, sagt Kathrin Hofer.
„Fünf Prozent der Ware wird verbrannt“
Frank Winterhalter, Geschäftsführer der Bäckerei Heimatliebe, möchte ebenfalls „alles versuchen, um Lebensmittelverschwendung zu verhindern“. Auch er arbeitet mit der Konstanzer Tafel zusammen, außerdem werden nicht verkaufte Brote manchmal geröstet und wieder in den Teig eingearbeitet. „Das ist positiv für den Geschmack“, so Winterhalter.
Bei der App „too good to go“ beteiligt sich die Bäckerei ebenfalls, auch wenn sich das nicht rechne. „Wir bekommen vier Euro pro Tüte, müssen sie aber mit einem Warenwert von zwölf Euro füllen. Bei uns sind oft Brot und Brötchen im Wert bis zu 16 Euro drin. Das ist unser Beitrag für die Umwelt.“
Denn Frank Winterhalter weiß, dass Bäckereien generell mit zehn bis 15 Prozent überschüssiger Ware planen. „Das ist Mist, aber es ist betriebswirtschaftlich schlimmer, wenn Kunden kurz vor Ladenschluss kommen und alles ausverkauft ist, denn kann bleiben sie irgendwann weg“, sagt er.
Wenn Bäckereifilialen in Supermärkten integriert sind, sei es sogar oft vertraglich vorgeschrieben, dass die Regale bis Ladenschluss voll sind. „Das heißt, dass bei uns ungefähr fünf Prozent der Backwaren in der Biogasanlage landen. Denn aus lebensmittelrechtlichen Gründen dürfen wir nicht alles wiederverwerten oder günstiger abgeben. Bei Torten zum Beispiel geht das nicht.“
Zu krumme Gurken haben im Laden keine Chance
Für Anne Betz, Rentnerin Marilena Lutz und Torben Schultz ist jede vor dem Müll gerettete Tüte die Arbeit wert. „Ich finde es traurig, dass jemand viel Zeit und Liebe in die Herstellung investiert und dann werden Sachen weggeschmissen“, sagt Betz. Torben Schultz kritisiert: „Gurken werden nicht verkauft, weil sie zu krumm sind oder die Folie leicht beschädigt ist, während viele Menschen auf der Welt nicht wissen, was sie essen sollen.“
Ist es aber nicht frustrierend, wie viele Lebensmittel trotzdem im Müll landen? „Wenn einem klar wird, bei wie vielen Betrieben wir nicht abholen, ist das natürlich schade“, sagt Anne Betz. „Aber das kann ich aushalten, weil ich persönlich so viel tue, wie ich kann. Das gibt mir auch ein gutes Gefühl.“
Konstanz: Ab in die Kiste anstatt auf den Müll: So retten Konstanzer tonnenweise Lebensmittel - SÜDKURIER Online
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