Zwei Dinge sind unstrittig: Süßigkeiten sind die am meisten beworbenen Lebensmittel in Deutschland. Und jedes sechste Kind hierzulande ist übergewichtig. Doch schon in der Frage, ob das eine ursächlich für das andere ist, gehen die Meinungen weit auseinander.
Bundesernährungsminister Cem Özdemir hat dazu eine klare Haltung: Der Grünen-Politiker plant, Kinder vor Fettleibigkeit zu schützen, indem er an sie gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel aus TV, Radio, Internet und Zeitungen verbannen will. Sein Ansinnen ist begrüßenswert. Doch sein Vorgehen macht mehr kaputt, als es hilft.
>> Lesen Sie hier: Werbeverbot für Naturjoghurts, Müslis und den Schoko-Osterhasen – Özdemirs Pläne stoßen auf Kritik
Denn der vom Minister öffentlich propagierte Schutz von Kindern erweist sich bei genauerer Betrachtung des Gesetzesentwurfs als ein komplettes Reklameverbot für mindestens 70 Prozent der Lebensmittel, fürchtet die Industrie. So darf künftig zur besten Sendezeit nicht mal mehr ein Naturjoghurt mit 3,5 Prozent Fett beworben werden – weil er über den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Grenzwerten liegt, auf denen das Vorhaben basiert. Mit Werbung für Kinder hat das nichts zu tun.
Stattdessen droht eine Überregulierung der ohnehin angeschlagenen Werbebranche. Medien drohen Milliarden zu verlieren, denn Lebensmittelhersteller zählen zu den wichtigsten Werbekunden. Özdemirs Plan nährt den Verdacht, dass die Grünen den Bürgern ihre Ernährungsagenda aufdrücken wollen. In der WHO-Liste gibt es strenge Grenzwerte für Milch oder Säfte. Doch die dürfen mit Verweis auf deren Nährstoffe auch künftig beworben werden.
Gesundheitsexperten klassifizieren zudem einige pflanzliche Fleischalternativen als ungesund. Von Werbeeinschränkungen in diesem Bereich, der von vielen Grünen-Politikern vorangetrieben wird, fehlt jedoch im Gesetzesentwurf jedes Wort. Stattdessen trifft die Regelung viele Unternehmen. Neulinge am Lebensmittelmarkt mit innovativen Produkten werden es schwerer haben, sie bekannt zu machen. Die Alteingesessenen können sich auf ihren Marktanteilen ausruhen.
Auch ein Verbot von Tabakwerbung zeigte kaum Effekte
Ein Vergleich zur Tabakbranche: Als der Bundestag in den 1970er-Jahren Zigarettenwerbung von den TV-Bildschirmen verbannte, reduzierte das nicht die Zahl der Raucher, sondern stärkte nur die Marktführer. Erst Rauchverbote und höhere Preise zeigten Wirkung.
Übertragen heißt das: Die Preise für ungesunde Produkte müssen rauf. So hat die Zuckersteuer in England dazu geführt, dass Limonadenhersteller den Zuckeranteil reduziert haben. Klar: Zusätzliche Abgaben werden der Industrie auch nicht gefallen. Aber der Minister würde sein eigentliches Ziel erreichen – nämlich Kinder zu schützen, ohne gleich ganze Branchen einzuschränken.
Mehr: Werbeverbot für 70 Prozent aller Lebensmittel – Wen Özdemirs Vorstoß besonders trifft
Kommentar: Ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel verfehlt das Ziel - Handelsblatt
Read More
No comments:
Post a Comment