Stand: 23.03.2022 10:04 Uhr
Hohe Energie- und Lebensmittelpreise bereiten vielen Menschen in Europa große Sorgen. Die EU legt nun Maßnahmenpakete vor, die die Bürger entlasten sollen. Derweil wird vor Hamsterkäufen gewarnt.
Angesichts der stark gestiegenen Energiepreise erwägt die EU-Kommission eine Reihe von Notfallmaßnahmen für EU-Länder - unter anderem eine Deckelung der Preise und gemeinsame Gaseinkäufe. Das geht aus einem Papier hervor, das die Brüsseler Behörde voraussichtlich heute verabschieden will. "Nichts davon ist eine Wunderwaffe, und alle haben Vorteile und Nachteile", heißt es in dem Entwurf, der der Nachrichtenagentur dpa vorliegt und sich noch vor dem Beschluss noch ändern kann.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte beim EU-Gipfel Anfang März bereits angekündigt, dass die Kommission bis Ende des Monats Notfallmaßnahmen vorlegen wolle, um "Ansteckungseffekte" zwischen den Gaspreisen und den Strompreisen zu begrenzen.
Vorschläge zur Preisbegrenzung
Der Strompreis wird durch einen Preismechanismus vom Gaspreis beeinflusst. Wegen des Kriegs in der Ukraine sind die Gaspreise weiter gestiegen, und es werden Schwierigkeiten bei der Energieversorgung befürchtet, da die EU von russischen Importen abhängig ist. Die EU-Kommission schlägt nun einerseits vor, Preise für Verbraucher und kleinere Unternehmen zu regulieren. Staaten könnten etwa Strom auf dem Markt einkaufen und besonders bedürftigen Kunden billiger zur Verfügung stellen, heißt es in dem Entwurf.
Andererseits könnten die Länder auch im Großhandel eingreifen, indem sie einen festen Strompreis setzen und Produzenten dafür finanziell kompensieren. Es könnte auch ein EU-weiter maximaler Preis für Gas gesetzt werden, der dann zu niedrigeren Strompreisen führen würde.
Wettbewerbsverzerrung und falsche Anreize?
Alle diese Maßnahmen hätten jedoch auch Nachteile, die sich auf die Versorgung auswirken könnten - etwa eine Einschränkung des Wettbewerbs, die Belastung der nationalen Haushalte oder eine mögliche Verzerrung der Märkte, hieß es. Außerdem würden Anreize für Investitionen in erneuerbare Energien teils reduziert. Daher schlägt die EU-Kommission auch vor, gemeinsam Gas einzukaufen, um eine stärkere Verhandlungsposition auf dem Markt zu haben. Zudem soll es auch eine Vorgabe geben, Gasreserven jedes Jahr bis November zu 90 Prozent zu füllen.
Unter anderem Deutschland lehnt Markteingriffe wie Preisdeckel bislang ab. Auch aus dem Europaparlament gab es Kritik. "Jetzt Öl- und Gaspreise zu deckeln, ist der absolut falsche Weg. Damit würden Steuergelder direkt Putins Öl und Gas subventionieren", sagte der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss in Bezug auf den russischen Präsidenten. Man brauche eine Strategie für den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien und die Renovierung von Häusern.
Auch Regulierung der Lebensmittelpreise geplant
Außerdem will die EU-Kommission vor dem Hintergrund drohender Ernteausfälle in der Ukraine Maßnahmen gegen knappe Lebensmittel und hohe Preise in der EU und anderen Regionen vorlegen. Dies dürfte auch den Streit darüber befeuern, ob Landwirte für mehr Ertrag weniger ökologische Vorgaben erfüllen sollten. Wegen des russischen Krieges gegen die Ukraine dürften große Mengen an Getreide aus dem osteuropäischen Land für den Weltmarkt wegfallen. Zudem seien Häfen, aus denen Getreide in die Welt verschifft werde, blockiert, berichtete der ukrainische Agrarminister Roman Leschenko am Dienstag Abgeordneten des EU-Parlaments.
Die Preise für Lebensmittel werden wahrscheinlich weiter steigen, mit womöglich dramatischen Folgen für ärmere Länder. Aber auch in Deutschland sind bereits Auswirkungen zu spüren, so ist derzeit etwa Sonnenblumenöl knapp. In der Ukraine aber auch günstiges Getreide, das vor allem ärmere Länder dringend brauchen. EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski bestätigte bereits, dass voraussichtlich einfachere Beihilfen für Agrarkonzerne und angepasste Vorgaben für Umweltauflagen Teil des Pakets sein werden.
Versorgungssicherheit contra Umweltschutz?
Eine Sprecherin der EU-Kommission betonte jedoch explizit, dass man weiterhin an den EU-Klimazielen festhalte, die im sogenannten Green Deal verankert sind. "Dies bleibt der Schwerpunkt der Kommission, da die Landwirte in ganz Europa bereits mit den Auswirkungen des Klimawandels und dem Verlust der biologischen Vielfalt konfrontiert sind."
In Brüssel wie auch in Deutschland und anderen Ländern gibt es gerade eine Debatte über den richtigen Umgang mit den Kriegsfolgen. Dabei wird etwa darüber gestritten, ob für den Umweltschutz vorgesehene Ackerflächen für zusätzliche Produktion eingesetzt werden sollen. Der den Grünen nahe stehenden Heinrich-Böll-Stiftung zufolge wäre der Effekt davon aber minimal. Finanzhilfen für ärmere Länder seien die bessere Lösung. Der Vorsitzende des Agrarausschusses im EU-Parlament, Norbert Lins (CDU), sagte hingegen, so könne immerhin der Weizenimportbedarf für Ägypten, Marokko und Tunesien gedeckt werden.
Auch zwischen den Regierungspartnern FDP und Grünen liefert das Thema Stoff für Auseinandersetzungen. Carina Konrad, stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, forderte Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) auf, er solle sich dafür einsetzen, dass der Green Deal angepasst werde. Die EU-Vorschläge, die heute präsentiert werden sollen, bezeichnete sie als wichtiges Signal. Özdemirs Ministerium hatte bereits angekündigt, dass künftig etwa zusätzliche sogenannte ökologische Vorrangflächen zur Futtergewinnung genutzt werden können. Anders als zunächst unverbindlich angekündigt, soll ein Vorschlag für Vorgaben zum Einsatz von Schädlingsbekämpfern nicht Teil des Pakets sein. Der Bund für Umwelt und Naturschutz wertete dies als Einknicken vor der Agrar-Lobby. Die Kommission widerspricht: Die entsprechende Vorschau könne sich immer wieder aus unterschiedlichen Gründen ändern, hieß es.
"Bitte keine Hamsterkäufe"
Minister Özdemir appellierte unterdessen an die Bürger, wegen des Ukraine-Kriegs und steigender Preise beim Einkauf nicht in Panik zu verfallen und womöglich unnötig Vorräte anzulegen. "Bitte keine Hamsterkäufe, dafür besteht kein Anlass. Wir haben die Versorgung sichergestellt", sagte der Grünen-Politiker auf RTL. Er habe gerade mit Vertretern des Handels gesprochen. "Und auch die haben sehr klar gesagt, wir haben die Lage im Griff, die Versorgung ist sichergestellt."
Zuvor hatte sich im ZDF auch schon der Vizepräsident des Handelsverband Deutschland (HDE), Björn Fromm, ähnlich geäußert. Trotz des russischen Ausfuhrstopps für Getreide werde es mittelfristig kein Problem mit der Getreideversorgung in Deutschland geben. Beim Ringen um eine Entlastung der Bürger angesichts der hohen Preise setzt Özdemir den Akzent anders als Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der sich für einen Tankrabatt für alle Autofahrer einsetzt. Der Grüne Özdemir wünscht sich bei Lebensmitteln eine Hilfe für bedürftige Menschen: "Wichtig ist, dass wir es nicht mit dem Füllhorn machen, sondern dass bei denjenigen, die besonders bedürftig sind, die Hilfe ankommt."
Energie und Lebensmittel: EU-Pläne gegen überhöhte Preise | tagesschau.de - tagesschau.de
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