Müssten weitaus mehr Lebensmittel zurückgerufen werden? Diesen Verdacht äußern Verbraucherschützer und werfen der Regierung vor, Kunden nicht hinreichend zu informieren.
Dortmund – Wochenlang sorgte in Deutschland eine Rückruf-Welle* für Aufregung. In zahlreichen Lebensmitteln wurde das krebserregende Pestizid Ethylenoxid nachgewiesen. Nun schlagen Verbraucherschützer Alarm, dass es noch weit mehr Lebensmittel sein könnten, berichtet RUHR24*.
Chemikalie | Ethylenoxid (kurz: EO) |
Beschreibung | Farbloses, hochentzündliches Gas mit süßlichem Geruch |
Formel | C2H4O |
Verwendung | Desinfektionsmittel für Nahrungsmittel, organische Dämmstoffe (Wolle, Pflanzenfasern), Textilfasern und medizinische Geräte |
Rückruf-Welle in Deutschland noch nicht groß genug? Zahlreiche Lebensmittel mit Pestizid belastet
Im Herbst 2020 war Sesam der Grund für zahlreiche Rückrufe*. Im Juni dieses Jahres wurde bekannt, dass auch große Mengen Johannisbrotkernmehl (E419) mit dem krebserregenden Ethylenoxid verunreinigt sind. Der Zusatzstoff wird in der Lebensmittelindustrie als Verdickunsmittel oder Stabilisator eingesetzt.
Wochenlang folgte ein Rückruf auf den nächsten: Eis des Konzerns Mars*, veganer Käse von Lidl*, ein Dessert von Kühne* und noch viele andere Produkte mussten aus dem Verkauf gezogen werden, weil die krebserregende Substanz nachgewiesen werden konnte. Foodwatch ist das allerdings noch zu wenig. Eine Recherche der Verbraucherschutzorganisation soll ergeben haben, dass weitaus mehr Produkte mit dem Pestizid verunreinigt sein müssten.
Rückrufe in Deutschland: Verbraucherschutzorganisation schlägt Alarm
Insbesondere geht es bei der Warnung von Foodwatch um belastetes Eis. So hat die Organisation die Zahl der Rückrufe in Ländern der EU verglichen und Erschreckendes dabei festgestellt: In Frankreich wurden seit Anfang Juni fast 1000 Eis-Produkte zurückgerufen, in Luxemburg mehr als 250, in Slowenien etwa 100. In Polen und Italien waren es immerhin rund 30 Eis-Sorten. Und in Deutschland: Da gab es gerade mal in nur sechs Fällen einen öffentlichen Rückruf.
Foodwatch hat nun den üblen Verdacht, dass auch in Deutschland deutlich mehr Produkte mit Ethylenoxid, das als krebserregend und erbgutschädigend gilt, belastet sind. Allerdings würden die Verbraucher nicht darüber informiert, lautet der Vorwurf der Verbraucherschutzorganisation. Aber wie kann das sein?
Mehr Rückrufe als bekannt? Verbraucherschützer schießen scharf gegen Bundesregierung
Foodwatch nimmt an dieser Stelle die deutsche Bundesregierung und insbesondere Julia Klöckner (CDU), Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, ins Gericht. Die Organisation wirft der Regierung in einer aktuellen Mitteilung vor, „europäische Vorgaben zum Gesundheitsschutz nur unzureichend umzusetzen“.
Der Hintergrund: Nach dem Bekanntwerden, dass neben Sesam auch Unmengen an Johannisbrotkernmehl (E410) belastet sind, haben alle EU-Mitgliedsstaaten im Juli 2021 folgende Einigung (PDF) getroffen: Alle Lebensmittel, bei denen kontaminiertes E410 nachgewiesen werden kann, müssen ohne Ausnahme zurückgerufen werden – auch wenn im verarbeiteten Endprodukt die Nachweisgrenze von Ethylenoxid nicht überschritten wird.
Denn laut dem EU-Beschluss* könne noch keine eindeutige Zahl festgelegt werden, ab wann der Verzehr des krebserregenden Stoffes tatsächlich gefährlich wird. Deshalb habe man sich darauf geeinigt, dass schon die kleinste Menge für die Verbraucher ein Gesundheitsrisiko darstellen kann und ausnahmslos ein Rückruf erfolgen muss, sobald Ethylenoxid nachgewiesen wird (mehr Rückrufe* bei RUHR24).
Ausbleibende Rückrufe: Landet in Deutschland massenhaft verunreinigtes Eis im Supermarkt?
In Deutschland ist das allerdings wohl nicht passiert, wie ein weiteres Beispiel der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch zeigt. So fanden sie heraus, dass in dem Eis des Herstellers Froneri mit Ethylenoxid belastetes E410 verarbeitet wurde. Dennoch landete das Eis weiter im Regal in deutschen Supermärkten.
Froneri ist ein Eis-Hersteller, der unter anderem Marken wie Milka, Daim, Schöller, Mövenpick oder Oreo beherbergt und ein Zusammenschluss von Nestlé und R&R Icecream ist. In Frankreich, Spanien oder Österreich hatte das Unternehmen reagiert und einen Rückruf veranlasst, in Deutschland jedoch nicht. Hier gab Froneri lediglich an, das Eis habe nur „kurzzeitig“ eine Zutat enthalten, die die Grenzwerte überschritten hätte. Doch den Angaben zufolge sei eine Belastung mit Ethylenoxid im fertigen Produkt nicht mehr existent.
Das Beispiel sowie die deutlichen Unterschiede bei der Anzahl der Rückrufe zwischen den EU-Ländern sieht Foodwatch als Beweis an, dass Deutschland die europäischen Schutzvorschriften nicht hinreichend umsetze – und bei Verbrauchern womöglich zahlreiche Lebensmittel mit krebserregendem und erbgutschädigendem Ethylenoxid auf dem Teller landen. *RUHR24 ist Teil des Redaktionsnetzwerks von IPPEN.MEDIA
Rubriklistenbild: © Sven Hoppe/dpa; Collage: RUHR24
Rückruf in Deutschland: Deutlich mehr Lebensmittel mit Gift belastet - Westfälischer Anzeiger
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