Soja-, Mandel-, Hafermilch? Oder doch die herkömmliche Kuhmilch? Welche darf es sein? Auf diese Frage sollte gefasst sein, wer einen Cappuccino, Caffè Latte oder Flat White bestellt.
So normal Soja- und Hafermilch bei der jungen Generationen mittlerweile sind, so sehr haben Ersatzprodukte im Vergleich zu Kuhmilch immer noch eine Sonderstellung, nämlich bei der Mehrwertsteuer. 19 Prozent werden bei Milchersatzprodukten fällig. Stammt die Milch von der Kuh, sind es sieben Prozent. Denn Kuhmilch gilt steuerlich als Grundnahrungsmittel.
Die Folgen sind gerade beim Kaffee kurios: Ist lediglich ein Schuss Milch drin, wird dieser wie fast alle Getränke mit 19 Prozent Mehrwertsteuer verkauft. Dominiert dagegen die Milch, wie bei einem Latte macchiato, gilt der ermäßigte Satz von sieben Prozent – aber nur dann, wenn es Kuhmilch ist. Für einen Latte macchiato, der mit Soja- oder Hafermilch serviert wird, müssen 19 Prozent abgeführt werden.
Klar ist: Klima- und magenfreundliche Milchersatzprodukte sind faktisch Grundnahrungsmittel. Während – auch wegen steigender Preise – der Konsum von Kuhmilch 2022, gemessen in Packungen, um sechs Prozent sank, stieg der Absatz von Milch-Alternativen um 14 Prozent. 2022 hatten die pflanzlichen Produkte in Deutschland einen Anteil von 13 Prozent am Milchmarkt.
Bei SPD und Grünen will man daher die steuerliche Ungleichbehandlung schnell beseitigen. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, die Mehrwertsteuer auf Milchersatzprodukte bereits kurzfristig im Rahmen der anstehenden Verhandlungen zum Jahressteuergesetz zum 1. Januar 2024 auf sieben Prozent zu reduzieren“, sagt Tim Klüssendorf, Finanzpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion.
Eine Anpassung der unterschiedlichen Sätze bei Grundnahrungsmitteln wie bei Hafer- oder Sojadrinks sei lange überfällig. „Ich sehe gute Chancen, dass wir dafür die notwendige Mehrheit in der Ampel-Koalition bekommen“, sagt der Berichterstatter für das Thema Mehrwertsteuer.
Unterstützung bekommt er von seinem Kollegen in der Bundestagsfraktion der Grünen, Bruno Hönel: „Mit dem Wandel der Ernährungsgewohnheiten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist beispielsweise Pflanzenmilch für viele eine alltägliche Alternative zu Kuhmilch geworden. Zudem ist sie klimafreundlicher“, sagt er. Die steuerliche Ungleichbehandlung stoße daher zu Recht auf Unverständnis.
Auch er kann sich eine Änderung im Jahressteuergesetz vorstellen, also in jenem Gesetz, mit dem Änderungen am Steuerrecht festgeschrieben werden. Eine Einschränkung macht Hönel allerdings: Die Gespräche seien nicht zuletzt „abhängig von den Haushaltsspielräumen“.
Deshalb hält sich Till Mansmann, der Mehrwertsteuerexperte der FDP-Bundestagsfraktion, bislang mit Zustimmung zurück. „Für alles gilt: Wir müssen erst mal die Steuerschätzung abwarten und auf dieser Basis Entscheidungen treffen“, sagt er. Die neue Schätzung kommt im Herbst.
Mansmann warnt vor Flickschusterei und mahnt umfassendere Änderungen an: „Man muss die ganze Umsatzsteuer mal auf den Prüfstand stellen“, sagt er. Denn von Hörbüchern bis Tampons kamen in den vergangenen Jahren immer neue Ausnahmen hinzu.
In Fahrt kommt diese Steuer-Diskussion gerade jetzt wegen kürzlich geänderter EU-Vorgaben. Seit 2022 haben die Mitgliedstaaten mehr Freiheit bei der Mehrwertsteuer – und dürfen sie erstmals für Grundnahrungsmittel sogar ganz streichen. Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) plädierte bereits vor einem Jahr unter anderem im Interview mit WELT AM SONNTAG dafür, die Mehrwertsteuer für viele pflanzliche Lebensmittel abzuschaffen – und sie im Gegenzug für Fleisch zu erhöhen.
Doch bei Finanzminister Christian Lindner (FDP) drang er damit bislang nicht durch. Der Vorstoß verschwand still und leise in der Ministerabstimmung über die Ernährungsstrategie der Ampel.
Denn die Wirtschaft ist für einheitliche Sätze. „Lebensmittel sollten generell nicht durch unterschiedliche Mehrwertsteuersätze diskriminiert werden“, sagt die Geschäftsführerin des Lebensmittelverbandes BVE, Stefanie Sabet. Die Lobbyistin, die das Brüsseler Büro leitet, warnt vor der Idee, Mehrwertsteuersätze zur gezielten Bevorzugung gesünderer oder nachhaltigerer Lebensmittel einzusetzen: „Eine Konsumlenkung durch die Mehrwertsteuer ist nicht marktwirtschaftlich, diskriminierend und auch nicht zielführend.“
Sie weiß dabei den Danone-Konzern an ihrer Seite: „Eine Angleichung würde sicherstellen, dass die Produkte bei der Kaufentscheidung durch den Verbraucher in einem ganz wichtigen Punkt – der Besteuerung – die gleichen Voraussetzungen haben“, sagt ein Sprecher des Molkereikonzerns, der auch die Pflanzenmilch-Marke Alpro produziert.
Strittig ist, welcher Satz gelten sollte: sieben oder 19 Prozent. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) plädiert für Entlastung und würde den reduzierten Kuhmilch-Satz von sieben Prozent auf alle alkoholfreien Getränke ausweiten. „Das würde nicht nur die Differenzierung zwischen Kuhmilch- und veganen Milchersatzprodukten beenden, sondern endlich einheitliche Steuersätze für fast alle Lebensmittel bedeuten“, sagt IW-Steuerfachmann Martin Beznoska. Effekt für die Steueraufkommen laut IW-Berechnungen: ungefähr vier Milliarden Euro oder 100 Euro Entlastung je Haushalt.
Der Bundesrechnungshof, der stets die Staatsfinanzen im Blick hat, plädiert dagegen für einen einheitlich hohen Satz von 19 Prozent: „Weitere Steuervergünstigungen sollten vermieden und bestehende Vergünstigungen konsequent gestrichen werden“, heißt es in einem 30-Seiten-Bericht zu ausstehenden Reformen. Denn der niedrigere Mehrwertsteuersatz koste den Staat insgesamt jährlich 35 Milliarden Euro.
Gerade Umweltgruppen und Tieraktivisten sind gegen einen Einheitstarif. Sie vertrauen wie Özdemir auf eine Lenkungswirkung differenzierter Steuersätze. Sie möchten die Verhältnisse umkehren: hohe Steuern für klimaschädliche Kuhmilch, ermäßigte für Pflanzen-Drinks.
„Produktsteuern in anderen Ländern haben gezeigt, dass das Bewusstsein für schädlichere Produkte durch die Erhebung einer Steuer erhöht wird“, sagt Peta-Expertin Scarlett Treml, die für einen Ausstieg aus der Tierhaltung plädiert. Beispiele seien Zucker- und Softdrinksteuern etwa in Ungarn, Finnland und Frankreich.
Ähnlich sehen das die Umweltschützer des BUND. „Pflanzliche Produkte sollten sehr viel günstiger sein als eine Ernährungsweise, die auf hohem Anteil tierischer Produkte basiert“, fordert Referent Patrick Müller. Er hofft auf einen Zusatznutzen: Niedrigere Steuern könnten helfen, Ersatzprodukte in größeren Mengen abzusetzen und sie so kostengünstiger zu produzieren. Die Steuerdiskussion nimmt jedenfalls Schwung auf. Und kompliziert könnte es in der Kaffeebar trotzdem bleiben.
Mehrwertsteuer: Wie werden unsere Lebensmittel in Zukunft besteuert? - WELT - WELT
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