Jedem fällt mal etwas Essbares zu Boden. Doch ist es dann noch genießbar? Der Mythos der sogenannten Drei-Sekunden-Regel besagt, dass der Faktor Zeit eine wichtige Rolle spielt: je schneller aufgehoben, desto unbedenklicher. ntv.de hat bei einer Expertin nachgefragt, ob da etwas dran ist.
Wenn Essen auf dem Boden landet, ruft immer irgendjemand: "Drei-Sekunden-Regel!" Halb im Scherz, halb im Ernst, so genau weiß das keiner. Der Gedanke dahinter: Je kürzer Lebensmittel Kontakt mit dem Boden haben, desto geringer das vermeintliche Risiko, dass sie ungenießbar werden. Aber ergibt diese Drei-Sekunden-Regel überhaupt Sinn?
Ein bisschen sei schon was dran, sagt Heidi Wichmann-Schauer, Leiterin der Fachgruppe Bakterielle Toxine und Gemeinschaftsverpflegung am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zu ntv.de. "Wenn ein Lebensmittel auf den Fußboden fällt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Bakterien übertragen werden, je länger es dort unten liegt." Allerdings: Auch bei kurzem Kontakt sei es möglich, dass Bakterien, Parasiten oder Viren übertragen werden.
Nicht nur Zeit ein Faktor
Aber: Nicht nur, wie lange etwas auf dem Boden liegt, sondern auch, wo es auf dem Boden liegt, spielt eine entscheidende Rolle: "In einer Wohnung, in der keine Haustiere leben, die Straßenschuhe am Eingang ausgezogen werden und der Boden regelmäßig geputzt wird, ist das Risiko geringer", so Wichmann-Schauer. Je schmutziger jedoch ein Boden, ob drinnen oder draußen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass dort krankmachende Erreger lauern.
Auch die Art des Bodenbelags kann einen Unterschied machen: "Bei glatten Flächen gibt es eine größere Übertragungsfläche", so die Expertin. Bei unebenen Flächen wie zum Beispiel Teppichboden liege ein Lebensmittel hingegen nur punktuell auf. "Zudem kann man davon ausgehen, dass Schmutz und Staub sich eher in der Tiefe des Teppichbodens befinden." Dies bestätigte eine Studie aus dem Jahr 2016, bei der Forscher den in den USA als Fünf-Sekunden-Regel bekannten Mythos getestet hatten.
Selbst der Wald ist nicht sicher
Im öffentlichen Raum sei das Risiko bei zu Boden gefallenen Lebensmitteln auf jeden Fall höher, sagt die Expertin - etwa auf dem Gehweg, wo Reste von Hundekot auf dem Boden vorhanden sein können. Auch der Wald sei mit Blick auf den Boden kein sicherer Ort. Im Gegenteil: "Auf dem Waldboden gibt es sehr viele Mikroorganismen, die auf Lebensmittel übertragen werden können", so Wichmann-Schauer.
Es hänge aber auch ganz entscheidend davon ab, welche Art von Lebensmittel auf den Boden fällt. "Je trockener das Lebensmittel ist, desto unwahrscheinlicher, dass Bakterien vom Fußboden übertragen werden", sagt Wichmann-Schauer. Je feuchter, desto einfacher sei es für Erreger, auf die Lebensmittel zu gelangen. Auch das konnte die Studie von 2016 bestätigen: Von den damals vier getesteten Lebensmitteln - Wassermelone, Brot, Butterbrot und Gummibärchen - nahm die feuchte Wassermelone die meisten Bakterien auf.
Tierkot an Schuhsohlen
Welche Gefahren lauern auf dem Boden eigentlich? Bei Lebensmitteln, die nach wenigen Sekunden Bodenkontakt verzehrt werden sollen, rücken vor allem Erreger in den Fokus, die bereits in geringer Zahl krank machen können. Ein Kandidat wären etwa EHEC-Bakterien. Über den Kot von Tieren, vor allem von Wiederkäuern wie Rinder, Schafe und Ziegen, können diese Kolibakterien draußen auf den Boden gelangen, so Wichmann-Schauer - und über Schuhsohlen schließlich auch in Innenräume.
Zudem gibt es Parasiten, die schon in sehr geringer Zahl Menschen krank machen können, beispielsweise die Erreger der Kryptosporidiose. Eine weitere Gefahr seien Eier des Kleinen Fuchsbandwurms, mit dem Lebensmittel auf dem Waldboden, in Grünanlagen oder im Garten in Kontakt kommen könnten, warnt die Expertin. Zwar erkrankten jährlich in Deutschland nur ein paar Dutzend Menschen daran, aber dann könne es sehr gefährlich werden.
Schwere Erkrankungen möglich
Der Faktor Zeit spielt wieder eine Rolle, wenn herabgefallenes Essen nicht sofort danach gegessen wird. Denn wird es eine Weile ungekühlt aufbewahrt, können sich mit der Zeit auch jene Krankheitserreger vermehren, die erst in höheren Dosen problematisch werden, darunter weitere Arten von Kolibakterien und Bakterien wie Listerien und Salmonellen. Die Folge können unangenehme Symptome wie Durchfall und Erbrechen sein, im schlimmsten Fall wird man schwer krank.
Wie hoch das Risiko einer Erkrankung ist, hängt aber auch stark davon ab, wer das verkeimte Lebensmittel dann isst. Bedenklich sei es bei kleinen Kindern, alten Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen und Schwangeren, sagt Wichmann-Schauer. "Bestimmte Listerien etwa sind besonders gefährlich, weil sie auch ein ungeborenes Kind im Mutterleib infizieren und schwer schädigen können."
"Immer Einzelfallentscheidung"
Womit die entscheidende Frage bleibt: Was soll man tun, wenn etwas Essbares auf dem Boden fällt? "Es ist immer eine Einzelfallentscheidung", so Wichmann-Schauer. Menschen aus den erwähnten Risikogruppen sollten im Zweifel lieber wegwerfen, was auf dem Boden lag. Bei anderen sei es ratsam, das Lebensmittel nach Möglichkeit mit sauberem Wasser abzuspülen. "Wir wissen, dass man durch das gründliche Waschen von Obst und Gemüse die Keimzahl ungefähr um eine Zehnerpotenz reduzieren kann."
Aber natürlich sollte man auch darauf achten, Lebensmittel nicht grundlos wegzuwerfen: Wenn einem Kind ein Stück Apfel zu Boden fällt, könnten es vielleicht noch die Eltern essen. Denn, so das Fazit: "Bei einem gesunden Erwachsenen ist es noch unwahrscheinlicher, dass er krank wird, weil er isst, was auf dem Boden lag", so Wichmann-Schauer. Drei oder zehn Sekunden spielten dabei kaum eine Rolle.
Übrigens: Nicht nur vom Boden, sondern auch der Boden selbst wird in manchen Kulturen gegessen: Man nennt das Geophagie. Ein Beispiel sind die Mud Cookies (zu Deutsch: "Schlamm-Kekse") in Haiti. Sie bestehen aus getrocknetem, gelbem Schlamm und wurden traditionell von schwangeren Frauen und Kindern als Arznei gegen Sodbrennen und Calciumquelle geschätzt. Aber auch Hunger und Armut trugen zur Verbreitung bei. Die heilsame Wirkung ist jedoch umstritten und Ärzte warnen vor Komplikationen und Gesundheitsschäden.
Wenn Essen auf dem Boden landet: Stimmt die Drei-Sekunden-Regel? - n-tv NACHRICHTEN
Read More
No comments:
Post a Comment