Berlin. Herr Bernoth, wissen Sie wie viele Stücke Würfelzucker in einem Osterhasen sind?
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Das kommt darauf an, was es für ein Osterhase ist. Nehmen wir die klassische Milchschokolade: Auf 100 Gramm kommen rund 50 Gramm Zucker. Bei einem Osterhasen von 50 Gramm wären das um die 25 Gramm. Bei einem Gewicht von drei Gramm pro Stück Würfelzucker reden also wir von ca. 8 Stücken.
Da haben Sie jetzt aber charmant gerechnet. Bei einem namhaften Hersteller, der seine lilafarbenen Hasen gerade wieder intensiv bewirbt, sind es 55 Gramm Zucker auf 100 Gramm Schokolade. Der große 175-Gramm-Hase enthält also 32 Stücke Zucker. Das ist doch kein gesundes Lebensmittel.
Der Schokohase wie auch andere Süßwaren verstecken nicht, dass sie Zucker enthalten. Die Unterteilung in „gesunde und ungesunde“ Lebensmittel halten wir, wie übrigens auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, für falsch. Jedes Lebensmittel hat in einer ausgewogenen Ernährung seinen Platz – auch der Schokohase. Es kommt wie immer auf das Maß an. Niemand ernährt sich ausschließlich von Schokohasen.
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![Carsten Bernoth, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Süßwarenindustrie.](https://www.rnd.de/resizer/slTKVzftljT4g-Jo782QzXsGFo8=/428x241/filters:quality(70):format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/BQFDLIAWCFDLXJISQOKAXPY7EA.jpg)
Carsten Bernoth, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Süßwarenindustrie.
© Quelle: Maximilian Specht/BDSI
Das Problem ist aber doch, dass die Süßware meist obendrauf kommt. Und dann nehmen gerade Kinder viel zu viele Kalorien auf.
Auch primär genussbringende Lebensmittel haben in einer ausgewogenen Ernährung ihren Platz. Wichtig ist, dass die Energiebilanz insgesamt stimmt. Und da haben wir zwei Stellschrauben: die Energieaufnahme durch Lebensmittel und Getränke und den Energieverbrauch durch ausreichende körperliche Aktivität. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass bei Kindern und Jugendlichen die mediane Energiezufuhr nahezu den jeweiligen Referenzwerten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung entspricht. Wo es aber deutlich hakt, ist die Bewegung. Knapp drei Viertel der Kinder und Jugendlichen bewegen sich deutlich zu wenig.
Was den Süßwarenkonsum anbetrifft, wissen bereits Kinder, dass Süßwaren nicht zum Sattessen sind. Zudem sind nach der sogenannten KiGGs-Studie, die vom Robert Koch-Institut durchgeführt wird, die konsumierten Süßwarenmengen von 2003 bis 2017 „erheblich gesunken“ – je nach Geschlecht und Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen zwischen 20 und 30 Prozent. Zielführender als Verbote von bestimmten Produktkategorien wie Süßwaren ist übergreifend die Vermittlung von Ernährungsbildung.
Nun bilden diese Daten aber nicht die Zeit seit Beginn der Corona-Pandemie ab, die zu mehr Übergewicht bei Kindern geführt hat. Wollen sie wirklich mit sieben Jahre alten Zahlen argumentieren?
Corona ist ein Sonderfall und dort gibt es noch Forschungsbedarf. Vor allem war es eine Zeit, in der Kinder kein Sport machen konnten, weil Turnhallen, Spiel- und Sportplätze gesperrt waren. Natürlich sehen auch wir das Problem, dass 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig sind, ein Teil davon stark übergewichtig. Den Fakt bestreitet niemand, auch nicht, dass man das ändern muss. Die Frage ist nur, welches Mittel hilft, um ein Problem zu lösen. Und da habe ich bei manchen politischen Aktivitäten ernsthafte Zweifel, dass die Politik derzeit auf die richtigen Mittel setzt.
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![](https://www.rnd.de/resizer/6u-Wq9tsCvofBL6CuN6oBUlm4JY=/508x286/filters:quality(70):format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/DMGOZCVWFNFMJBUMXEZCJBR5CM.jpg)
Das Leben und wir
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Sie spielen auf den Vorstoß von Ernährungsminister Cem Özdemir an, der im Kampf gegen Adipositas und Diabetes an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel verbieten lassen möchte. Was wäre daran so schlimm?
Bundesminister Özdemir erweckt recht geschickt den Eindruck, dass es lediglich um an Kinder gerichtete Werbung geht und dass damit ein Beitrag gegen Übergewicht geleistet wird. Das ist aber beides unwahr. Jeder muss wissen: Die Pläne bedeuten in wichtigen Medien praktisch ein komplettes Werbeverbot in der Zeit zwischen 6 und 23 Uhr. Sämtliche Lebensmittelkategorien, die Herr Özdemir für ungesund hält, können in dieser Zeit auch gegenüber Erwachsenen nicht mehr beworben werden – das beträfe mehr als 70 Prozent der Produkte im Supermarkt.
Und das, obwohl es keine belastbaren wissenschaftlichen Untersuchungen zur Wirksamkeit der Werbebeschränkungen auf die Gesamternährung und die Entwicklung von kindlichem Übergewicht existieren. Zu diesem Ergebnis kommt übrigens auch die wissenschaftliche Behörde des BMEL, nämlich das Max-Rubner-Institut (MRI). Daher wehren wir uns. Und viele andere auch.
Würde man nur an Kinder gerichtete Werbung verbieten, gingen Sie mit?
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Bundesminister Özdemir tut gerade so, als ob wir in einem rechtsfreien Raum ohne Regeln leben würden. Die Wirklichkeit sieht komplett anders aus: Im sogenannten Kinderumfeld gibt es bereits heute strenge gesetzliche Vorgaben. Kindersendungen dürfen nicht durch Werbung unterbrochen werden. Dazu haben wir national effektive freiwillige Selbstbeschränkungen der Werbewirtschaft. Auf EU-Ebene haben sich namhafte Hersteller zu Werbeeinschränkungen selbst verpflichtet. Es gibt also klare gesetzliche und freiwillige Einschränkungen. Die viel wichtigere Frage ist doch: Würde ein komplettes Werbeverbot für Süßes, Fettiges und Salziges tatsächlich dazu führen, die Übergewichtsrate in Deutschland zu senken? Ich bin aufgrund der Faktenlage überzeugt, dass dies nicht der Fall ist.
Krankenkassen, Mediziner und Verbraucherschützer sehen das anders. Und die beziehen sich beispielsweise auf Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz, der einen Zusammenhang zwischen Werbung und ungesunder Ernährung sieht.
Es gibt keine belastbaren wissenschaftlichen Wirksamkeitsstudien. Das hat das Bundesernährungsministerium selbst in einer schriftlichen Antwort auf eine parlamentarische Anfrage eingeräumt. Wenn man aber einen solch weitreichenden Eingriff vorschlägt, muss man doch einen Beleg dafür haben, dass er auch wirkt. Den hat Herr Özdemir aber nicht. Wir und unzählige andere Lebensmittelhersteller verschiedenster Branchen werden zu Unrecht an den Pranger gestellt. Sein Werbeverbot ist nichts weiter als politisches PR-Placebo, das niemandem in Deutschland hilft.
![Decision Fatigue kann dazu führen, dass Menschen mehr Fehlentscheidungen treffen.](https://www.rnd.de/resizer/KfF09KUO7dQctjZVTbcv2U5LDRs=/508x286/filters:quality(70):format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/A6B2D467PVABJKSA4T7KJWHKAI.jpg)
Aus dem Bauch heraus entscheiden? Welche Fallstricke dabei lauern
Auf die Intuition zu vertrauen, das kann eine gute Idee sein – oder auch eine ganz schlechte. Die Wissenschaft hat sich intensiv mit dem Bauchgefühl befasst. Wer weiß, wie es funktioniert, kann es für sich nutzen.
Dass Werbung einen Effekt hat, wollen Sie nicht bestreiten, oder? Ihre Unternehmen geben all die Millionen doch nicht aus Spaß aus.
Natürlich wirkt Werbung, aber nicht so, wie das hier von Minister Özdemir dargestellt wird. Unternehmen stellen ihre Produkte vor, die Verbraucher können sich über Neuheiten informieren und entscheiden dann in gesättigten Märkten wie Deutschland innerhalb einer Lebensmittelkategorie zwischen Produkt A oder B, also Schokoriegel A statt Schokoriegel B und nicht Schokoriegel statt Brokkoli. So wirkt Werbung.
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Selbst Discounter wie Lidl haben angekündigt, an Kinder gerichtete Werbung einzudämmen. Ist der Handel weiter als die Industrie?
Der Handel kann das natürlich sehr leicht ankündigen. Aber noch einmal: Es ist doch entscheidend, was eine Maßnahme im Endeffekt bewirkt. Hilft sie dabei, das Übergewichtsproblem zu lösen? Nein. Aus meiner Sicht ist es ein gewaltiger Unterschied, ob ich als Hersteller Werbung für meine Produkte mache oder ob ich als Discounter wöchentlich für Hunderte verschiedenste (Eigen-)marken werbe, um Kunden in die Filialen zu locken. Fakt ist, Lidl sieht bei seinen Einschränkungen klare Ausnahmen für Aktionsartikel zu Weihnachten, Ostern und Halloween vor.
Lidl geht es nur um Imagepflege?
Das haben Sie jetzt gesagt. Bei diesem Thema darf es nicht um Imagepflege gehen. Viel wichtiger ist doch: Wenn ich ein Werbeverbot einführe, um die Übergewichtsrate zu reduzieren, muss ich doch einen Beleg dafür haben, dass das Verbot auch zum Ziel führt. Und diesen Beleg hat man nicht. In Großbritannien oder Südkorea hat man schon vor Jahren weitreichende Verbote eingeführt – ohne jeden Effekt auf die Übergewichtsrate bei Kindern und Jugendlichen.
In Großbritannien gibt es das umfassende Werbeverbot ja noch gar nicht lange.
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Das stimmt so nicht. In UK sind die Werberegulierungen bereits seit 2007/2008 und 2017 in Kraft – also 15 beziehungsweise fünf Jahre: Effekt keiner, so die Übergewichtsdaten. Seien wir mal ehrlich: Für die Politik ist ein Werbeverbot einfach und kostengünstig, da man es schnell umsetzen kann. Mehr für Ernährungsbildung, Bewegung und Medienkompetenz zu tun, wäre der richtige Weg – ist für die Politik aber aufwendiger und teurer. Herr Özdemir könnte sich als Ernährungsminister verdient machen, wenn er das Schulessen Deutschlandweit wirklich verbessern würde.
Was ist der Beitrag der Industrie, um die 15 Prozent Übergewichtsrate zu senken?
Wir leisten einiges und haben zum Beispiel bis zu ihrer Auflösung die Plattform Ernährung und Bewegung mit unterstützt. Da gab es viele verschiedene Projekte zur Förderung eines gesundheitsförderlichen Lebensstils bei Kindern und Jugendlichen. Zudem stellen wir ein sehr großes Produktportfolio und darunter zahlreiche zucker-, salz- oder auch fettreduzierte Produkte her, sodass Verbraucher die freie Auswahl haben. Und viele Unternehmen unterstützen verlässlich lokale Sportvereine in ihrer Region. Dieses Sponsoring soll übrigens laut Gesetzentwurf auch nicht mehr möglich sein.
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Klar, weil sich Süßwarenhersteller durch Trikot- und Bandenwerbung auch noch ein gesundes Image geben.
Klar ist vor allem, dass es in der breiten Sport- und Kulturlandschaft ansonsten sehr traurig aussehen würde. Diese können nur mithilfe eines Sponsorings überleben und sind ein wesentlicher Teil zur Lösung des Übergewichtsproblems. Darüber hinaus leben wir in einer freien Marktwirtschaft. Und da dürfen Produkte, die hergestellt werden, auch beworben werden. Wenn man jetzt bei einer bestimmten Form von Lebensmitteln anfängt, Werbung zu verbieten, wie wird man dann weitermachen? Sollen künftig auch die Schaufenster von Bäckereien und Fleischereien zugeklebt werden, damit niemand von draußen sieht, was Leckeres im Angebot ist? Morgen ist es dann ein Werbeverbot für Verbrennungsmotoren, übermorgen für die Flugreise. Das sieht unser Grundgesetz aus gutem Grund nicht vor! Wir führen gerne eine sachliche Diskussion, aber wir bestehen darauf, dass eine Regelung am Ende grundrechtskonform ist – und Sinn hat.
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Sie drohen mit dem Gang nach Karlsruhe?
Drohungen liegen uns als Verband fern. Aber es gibt bereits mehrere Staatsrechtler, die gewichtige Gründe für eine Verfassungswidrigkeit des vorliegenden Entwurfs geäußert haben.
Gehen Sie denn davon aus, dass eines Ihrer Mitgliedsunternehmen klagen wird?
Ich glaube, dass der Gesetzgeber gut beraten ist, auf diese verfassungsrechtlichen Einwände zu hören und mündige Verbraucher nicht aus ideologischen Gründen zu bevormunden.
Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel: Wie viele Stücke Würfelzucker sind in einem Osterhasen, Herr Bernoth? - RND
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