Der Schock traf Veit Pöhlmann kürzlich, als er den Großhändler der Supermarkt-Kette Edeka im bayrischen Kulmbach betrat. Der Gastwirt aus Franken wollte tiefgefrorene polnische Gänse für sein Geschäft kaufen. Doch statt 25 Euro wie am Tag zuvor kosteten die plötzlich 50,34 Euro pro Stück – plus Mehrwertsteuer. Dabei hatte sich an den Gänsen nichts geändert. Wie zuvor waren sie laut Etikett im November 2021 geschlachtet, im Dezember 2021 tiefgefroren und bis 2024 haltbar.
Lebensmittel immer teurer: „In hohem Maße intransparent und spekulativ“
Pöhlmann erzählte die kuriose Geschichte der „ Süddeutschen Zeitung “, die wiederum bei Edeka nachfragte, warum sich der Preis mehr als verdoppelt habe. Die Supermarkt-Kette wies auf die grassierende Vogelgrippe hin, welche die Bestände verknappt habe, weswegen alle Preise, auch die für schon verpackte Ware, erhöht würden. Außerdem hätten auch „alle relevanten Mitbewerber“ die Preise in ähnlichem Maße erhöht.
Das Beispiel aus Bayern zeigt, wie schwer sich die Preissteigerungen bei Lebensmitteln kontrollieren lassen. „Die Preisbildung für Lebensmittel ist in hohem Maße intransparent und spekulativ“, sagt etwa die Verbraucherzentrale NRW . Sie hat verschiedene Lebensmittel stichprobenartig getestet und fand horrende Preisunterschiede zwischen einzelnen Supermärkten. Das Kilo Tomaten etwa kostete je nach Geschäft zwischen 1,11 und 22,17 Euro. „Solche eklatanten Preisunterschiede am gleichen Tag in unterschiedlichen Supermärkten lassen sich nicht alleine durch höhere Herstellungskosten, Hamsterkäufe oder die Folgen des Ukrainekrieges erklären“, sagt Wolfgang Schuldzinski, Vorstand der Verbraucherzentrale NRW.
Lebensmittelpreise steigen in einem Jahr um 20 Prozent
Der Verdacht ist aber nicht nur, dass einzelne schwarze Schafe unter Supermärkten die allgemein hohe Inflation für Mitnahmeeffekte ausnutzen, also Preise grundlos erhöhen, sondern auch, dass dies flächendeckend geschieht. Die Logik dahinter zeigt sich bei den tiefgefrorenen Gänsen von Edeka: Erhöhen mehrere Wettbewerber die Preise, sieht das auch Edeka als Grund dafür, die eigenen Preise anzuheben – unabhängig davon, ob das von den eigenen Kosten her geboten ist.
Insgesamt steigen die Preise für Lebensmittel bundesweit so deutlich stärker als die allgemeine Inflationsrate. Lag diese im Oktober bei 10,4 Prozent, ging es für Lebensmittel um 20,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr nach oben. Seit April haben sich die Lebensmittelpreise von der allgemeinen Teuerungsrate nach oben hin entkoppelt, auch europaweit steigen sie bei uns schneller als in anderen Ländern.
Dass Lebensmittel überhaupt im Preis steigen, lässt sich sinnvoll belegen. Bauern leiden unter einem Mangel an aus Erdgas hergestelltem Mineraldünger oder müssen dafür viel mehr bezahlen als in den Vorjahren und geben so höhere Kosten und niedrigere Erträge an die Händler weiter. Sonnenblumenöl und Rapsöl stammen hauptsächlich aus der Ukraine, deren Lieferungen kriegsbedingt nun ausfallen und so die Preise treiben. Als Nebenprodukt fällt bei der Ölproduktion hochwertiges Tierfutter an, dass Viehzüchter nun teuer woanders einkaufen müssen – also steigen auch die Fleisch-, Milch und Eierpreise.
Hersteller und Märkte verdienen weiter gut
Ein Problem in Deutschland: Der Lebensmitteleinzelhandel ist hier in der Hand weniger großer Firmen. Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe, zu der Lidl und Kaufland gehören, teilen sich 85 Prozent des Lebensmittelmarktes auf. Das reduziert den Wettbewerb. Zudem ist es im Lebensmittelbereich für Verbraucher schwerer, Preise schnell zu vergleichen. Stehen Sie in Ihrem Rewe vor einer Flasche Sonnenblumenöl für 2,50 Euro, ist es meist zu umständlich, erst zum nächsten Supermarkt zu rennen und zu schauen, ob das Öl dort günstiger ist.
Verbraucherschützer fordern deswegen seit Monaten bereits, dass die Befugnisse des Bundeskartellamtes erweitert werden. Die dort angesiedelte Markttransparenzstelle soll täglich die konkreten Preise von allen Lebensmitteleinzelhändlern übermittelt bekommen. Einen ähnlichen Prozess gibt es bereits bei Tankstellen. Der Vorteil: Aus den Daten können private Anbieter etwa Preisvergleich-Apps bauen.
Am Hungertuch nagen müssten weder die Supermarkt-Ketten noch die großen Hersteller, wenn die Lebensmittelpreise wieder sinken würden. Nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) stiegen die Umsätze der Discounter allein im September um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Nestlé rechnet damit, seinen Umsatz um 9 Prozent und seinen Vorsteuergewinn dieses Jahr um 7,5 Prozent zu steigern. Bei Unilever soll der Gewinn bei 11,3 Milliarden Euro stagnieren, der Umsatz aber um 13 Prozent steigen. Auch die US-Riesen Mondelez , Mars und PepsiCo rechnen mit Zugewinnen.
Inflation bei Lebensmitteln: Verbraucherschützer vermuten Gier der Hersteller - FOCUS Online
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