Die Klage ist noch nicht alt. In Deutschland, so hieß es jahrelang, seien Lebensmittel viel zu billig. Die These vieler Kritiker lautete, Qualität müsse mehr kosten. Doch mit der rasanten Inflation verschieben sich die Haushaltsbudgets. Laut dem Statistischen Bundesamt sind die Lebensmittelpreise im November gegenüber dem Vorjahr um 21 Prozent gestiegen.
Damit legte die Teuerung in dem Bereich – anders als insgesamt – noch einmal zu. Vor allem gegenüber Dienstleistungen und Wohnungskosten haben sich Lebensmittel damit erheblich verteuert.
Ironischerweise gewinnen nun nicht diejenigen Geschäftsmodelle neue Kunden, die in den vergangenen Boom-Jahren davon ausgingen, dass die Deutschen mehr Geld für bessere Lebensmittel oder mehr Service bezahlen würden. Stattdessen legen diejenigen Kanäle zu, in denen Qualität und Preis zusammengehen – oder das zumindest versprochen wird.
Aldi Süd etwa meldet, im November erstmals ein Viertel seines Frischfleisches aus den Haltungsklassen drei und vier verkauft zu haben – also aus Ställen mit Freiland-Auslauf beziehungsweise aus dem Biolandlandbau. Bei Frischmilch seien es 40 Prozent gewesen. Bis 2030 solle das gesamte Sortiment umgestellt sein. Aldi dankt seinen Kunden für die Nachfrage nach dem Tierwohl-Fleisch.
Allerdings hat die hohe Nachfrage bei dem Discounter eine Kehrseite: Teurere Biofachgeschäfte melden seit Monaten deutliche Umsatzrückgänge. Auch neue Konzepte wie Unverpacktläden, die höhere Preise für den Verzicht auf Verpackungen verlangen, haben es schwer zu überleben.
Metzger berichteten davon, Biofleisch zu konventionellen Preisen verkaufen zu müssen, um Abnehmer zu finden. Denn die Kunden verzichten zwar häufig nicht auf Bioqualität, suchen sie aber im preisgünstigeren Discount.
Neue Sparsamkeit bei Lebensmitteln
Die neue Sparsamkeit bei Lebensmitteln trifft auch ein in Berlin gegründetes Start-up, das in den vergangenen Jahren bei Risikokapitalgebern hohe Erwartungen geweckt und so rund 600 Millionen Euro Risikokapital eingesammelt hat. Das 2013 ins Leben gerufene Infarm züchtet Kräuter und Salat in eigenen Indoor-Farmen und stellt zudem Mini-Gewächshäuser in Supermärkten auf.
Durch die kontrollierte Aufzucht in Hydrokultur soll der Geschmack besser sein, behauptet Infarm. In jedem Fall sind die Aufzuchtautomaten in den Supermärkten werbewirksam – demonstrieren sie doch genau diejenige Frische-Kompetenz, die teure Supermärkte ihren Kunden so gern vermitteln wollen. Infarm stellt die Kästen in den Läden auf und verkauft die Kräuter an die Supermarktbetreiber.
Doch offenbar sind immer weniger Kunden bereit, einen Aufpreis für das im Laden gezüchtete Gemüse zu zahlen – und zugleich steigen die Energiekosten. Das trifft einen Schwachpunkt des Konzepts: Während Indoor-Farmen Wasser, Land und Pflanzenschutzmittel einsparen, brauchen sie viel Energie für Klimatisierung und Beleuchtung.
Infarm hatte bereits im laufenden Jahr seine Wachstumspläne zurechtgestutzt und Jobs eingespart. Doch erst diese Woche fiel der echte Spar-Hammer. 500 Menschen, über die Hälfte der verbliebenen Mitarbeiter, müssten das inzwischen in Amsterdam beheimatete Unternehmen verlassen, teilte das Management der Belegschaft in einer E-Mail mit.
„Wir müssen einem noch rigoroseren Pfad zur Profitabilität einschlagen, um in den kommenden 18 Monaten finanzielle Selbstständigkeit und langfristige Geschäftsstabilität zu erreichen“, heißt es in dem Schreiben. Große globale Wachstumspläne sind damit abgesagt.
Infarm will sich auf nur vier Kernstandorte für seine eigenen größeren Aufzuchtanlagen konzentrieren – dort, wo das Unternehmen bereits viele Abnehmer unter Einzelhändlern und Gastronomen hat: Frankfurt, Kopenhagen, Toronto und Baltimore. In Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien werde Infarm seine Aktivitäten zurückfahren, in Japan womöglich ganz aufgeben.
Infarm ist nicht das einzige bislang finanziell hoch bewertete Unternehmen, das kräftig zurückstecken muss. Der Schnellliefer-Supermarkt Gorillas, dessen Kunden wegen Liefergebühren und generell recht hoher Preise tiefer in die Tasche greifen müssen, könnte noch in diesem Jahr vom türkischen Konkurrenten Getir übernommen werden, heißt es aus dem Umfeld der Beteiligten.
Preisgünstige Lieferdienste vor dem Marktstart
Laut einem Bericht von „Business Insider“ müssen die beiden Unternehmen damit rechnen, dass sie durch den Deal auf dem Papier von den Investoren deutlich geringer bewertet werden als bislang. Der Verkaufswert von Gorillas könnte dabei sogar unter die symbolträchtige Milliarden-Euro-Marke rutschen.
Das „Handelsblatt“ meldet, der Vertrag könne schon am Freitag unterzeichnet werden und das neue, kombinierte Unternehmen mit sieben Milliarden Euro bewerten. Das wäre ein deutlicher Wertverlust.
Nutznießer dieser Entwicklung wiederum könnten langsamere, aber dafür preisgünstigere Lieferdienste sein. Der tschechische Anbieter Rohlik mit seiner deutschen Lieferdienst-Marke Knuspr und der Edeka-Partner Picnic stehen beide etwa kurz vor dem Marktstart in Hamburg, nachdem sie bereits München und Frankfurt beziehungsweise NRW bedienen.
Dabei soll die Expansion trotz der Krise in großem Stil erfolgen: Knuspr baut derzeit in der Hansestadt ein automatisiertes Zentrallager auf. Picnic hat für Norddeutschland 1200 Stellen angekündigt. Beide Anbieter arbeiten mit längeren Vorbestellzeiten und wollen über gebündelte Lieferungen die Kosten in den Griff bekommen – und so auch in Inflationszeiten wettbewerbsfähig sein.
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