Der Ukraine-Krieg treibt die Lebensmittelpreise hoch: Es ist an der Zeit, der Teuerung mit einem Bündel überfälliger Maßnahmen zu begegnen. Ein Kommentar.
Rund fünf Euro am Tag kann ein Mensch, der von Hartz 4 oder Grundsicherung lebt, für Nahrungsmittel ausgeben. Man kann von dem Geld einen Beutel Möhren und ein 2,5-Kilo-Säckchen Kartoffeln kaufen. Auch ein Joghurt ist noch drin, nicht aber die kleine Schale Heidelbeeren. Die kostet 2,50 Euro und sprengt den Etat.
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Es geht um Existenzielles. Zwei Dinge brauchen Menschen wirklich: ein Dach über dem Kopf und genug zu essen und zu trinken. Beides ist nicht mehr selbstverständlich. In Berlin eine bezahlbare Wohnung zu finden, war schon immer schwierig, nun kommen angesichts der hohen Preise für Gas und Öl die Sorgen hinzu, wie man sie warmhält. Und auch Lebensmittel werden immer teurer.
Verglichen mit dem Vorjahr sind die Preise in den Supermärkten im April um 8,5 Prozent gestiegen und damit noch stärker als die allgemeine Inflationsrate. Besser wird es nicht. Denn die Gründe für die Preissprünge bleiben. Wegen des Kriegs fällt die einstige Kornkammer Ukraine als Lieferantin von Weizen, Roggen, Raps- und Sonnenblumenöl weitgehend aus. Weizen kostet an den internationalen Märkten inzwischen mehr als das Doppelte verglichen mit dem vergangenen Juli.
Auch Logistikprobleme treiben die Preise
Zu Recht warnen Entwicklungshilfeorganisationen und das Welternährungsprogramm vor Hungersnöten in Nordafrika, im Libanon oder im Jemen. Den Staaten fehlt das Geld, die teuren Rohstoffe zu bezahlen. Putin setzt den Hunger als Waffe ein. Aber nicht nur der Krieg treibt die Preise.
Logistikprobleme, die seit der Corona-Pandemie den Welthandel belasten, führen dazu, dass selbst Getreide, das vorhanden wäre, nicht dort ankommt, wo es gebraucht wird. Hinzu kommen Missernten durch Dürren, Überschwemmungen oder Heuschreckenplagen.
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Was kann man tun? Die Lösung scheint simpel zu sein: Man baut einfach mehr an. Wenn auch die letzte Ackerkrume eingesät ist, müsste doch genug für alle da sein. Deutschlands Agrarminister Cem Özdemir sieht das anders, hat sich aber zu einem Kompromiss durchgerungen. Auf den ökologischen Vorrangflächen, die eigentlich in Ruhe gelassen werden müssen, darf nun zumindest Tierfutter geerntet werden.
Ist die deutsche Knausrigkeit unsolidarisch angesichts des drohenden Hungers in der Welt? Nein. Man kann nicht eine Krise gegen die andere ausspielen, die Ernährungskrise nicht gegen die Klimakrise. Zu Recht hat Deutschland die Agrarwende eingeleitet: mehr Bio, weniger Pestizide, weniger Dünger. Schluss mit den riesigen Ställen, in denen zehntausende Schweine oder Hühner stehen und deren Hinterlassenschaften – anders als im Biolandbau – nicht als Dünger genutzt werden, um die Futterpflanzen zu ernähren.
Künftig muss Qualität vor Quantität gehen
Lange hat es gedauert, aber jetzt ziehen viele Bauern, Umweltverbände und Verbraucherschützer an einem Strang. Die Landwirte müssen sich darauf verlassen können, dass künftig Qualität vor Quantität geht. Dass sie für eine bessere Tierhaltung mehr Geld bekommen. Dass weniger mehr ist.
Der Krieg ändert daran nichts. Aber man sollte die Versorgungskrise nutzen, um über neue Techniken in der Pflanzenzucht nachzudenken. Wenn man die Erträge steigern könnte, ohne den Boden weiter zu belasten, könnte das auch über den Krieg hinaus im Kampf gegen die Klimaherausforderungen helfen.
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Kurzfristig hilft das den Menschen, die jetzt am Monatsende nicht mehr wissen, wie sie ihr Essen bezahlen sollen, aber nicht. Eine Lebensmittelpauschale für Transferempfänger wäre eine schnelle, sinnvolle Entlastung. Eine Reform der Mehrwertsteuer wäre ein weiterer Schritt. Verbraucherschützer und Sozialverbände fordern, die Steuer für Obst, Hülsenfrüchte und Gemüse abzuschaffen.
Wenn dadurch mehr Karotten und weniger Koteletts im Einkaufswagen landen, wäre das ein Gewinn: für jeden einzelnen, der sich auch mit schmalem Geldbeutel gesund ernähren könnte, und für die Welt. 60 Prozent des deutschen Getreides landen derzeit im Futtertrog, weitere neun Prozent als Biosprit im Tank. Wer die Welt ernähren will, hat hier ein weites Feld vor sich, das er beackern kann.
Teure Lebensmittel: Karotten statt Koteletts - Tagesspiegel
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