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Sunday, April 24, 2022

Inflation in Deutschland: Viele können sich Lebensmittel nicht mehr leisten - FOCUS Online

Teuer-Deutschland: „Man kriegt ja kaum noch was für den Euro“: Für viele sind Lebensmittel nun zu teuer

Beim Fairteiler in Halberstadt darf sich jeder Lebensmittel abholen, die die Supermärkte nicht mehr verkaufen können. Mit der steigenden Inflation nimmt der Andrang hier zu und auch das Publikum wird breiter. Das Geld wird knapp.

Als ein Kind eine Tomate auf den Boden wirft und darauf tritt, wird Adam Mensing sauer. „Das macht man nicht“, murmelt er vor sich hin. Das Obst sei eigentlich noch frisch und zum Essen gedacht. „So was ist einfach sinnlose Verschwendung. Da hätten sie es auch wem anders geben können“, kritisiert er vor allem in Richtung der Mutter, die weder ihr Kind darauf hinweist noch den Tritt auf die zweite Tomate verhindert.

Dabei kommen mehrere Dutzend Menschen drei Mal die Woche zum Fairteiler in Halberstadt, um Lebensmittel zu retten – und den eigenen Geldbeutel zu entlasten.

Starker Preisanstieg bei Lebensmittel und stabil niedrige Löhne

Bei Obst, Gemüse und Kartoffeln hat die Verteuerung bereits in den vergangenen Jahren stärker zugelegt, wie aus Daten des Statistischen Bundesamts hervorgeht. Ausgehend von einem Basiswert von 100 im Jahr 2015 stieg der Preisindex bis März 2021 auf 115,7; ähnlich entwickelten sich Fleischprodukte. Back- und Süßwaren sowie Getränke lagen da noch deutlich unter 110. Bis März diesen Jahres legte der Index für Obst dann auf 124,4 zu, bei Fleisch stieg er auf 121,4. Bedeutet: Die Preise stiegen binnen sieben Jahren um fast 25 Prozent, ein bedeutender Anteil des Anstiegs fällt auf die vergangenen vier Monate zurück: Zum Jahresende 2021 lag der Gemüseindex noch bei 117,2.

Lieferkettenprobleme durch Corona, steigende Energiepreise, CO2-Steuer – und dann noch Putins Krieg in der Ukraine, der all diese Herausforderungen noch vergrößert. Die europäischen Sanktionen treffen nicht nur Russland, sondern wirken auch auf die heimische Bevölkerung. Für einen Dachdecker wie Mensing, der nach eigenen Angaben für 12,76 Euro pro Stunde arbeitet, geht es da bereits ans Eingemachte. Als „beschämend“ beschreibt er selbst das Lohngefüge. Zumal er in sechs Jahren keine Gehaltserhöhung erhalten habe und die Arbeitstage eher zehn bis elf Stunden lang seien.

„Das Essen würde am Ende in der Tonne liegen“

„Kein Weihnachtsgeld, kein Urlaubsgeld, wenn überhaupt gerade mal so die Urlaubstage“, schildert Mensing; Gefahrenzulage sei vielen Betrieben ebenfalls ein Fremdwort. In die „guten Firmen“, mit besseren Bedingungen, käme man in Halberstadt eigentlich nur durch Kontakte oder als Lehrling.

Doch während sein Lohn stabil niedrig bleibt und seine Kaufkraft durch die Inflation sinkt, weil er nicht mehr wie zuvor „im goldenen Westen“ mit einem Jahreseinkommen von 58.000 Euro arbeitet, ziehen die Preise nun spürbar an. „Man braucht bloß eine Packung Salami angucken: 1,39 Euro, jetzt 1,79 Euro“, nennt er ein Beispiel. Wenn er das mit den D-Mark-Preisen vergleiche, hätte er solche Summen nie hingelegt. Auch bei seiner Großmutter habe er mit der Währungsumstellung gesehen, wie sie plötzlich mit ihrer kleinen Rente in Nöte kam. „Sie hatte nicht einmal mehr 500 Euro auf dem Konto, vorher – in D-Mark – ist sie vernünftig zurechtgekommen“, beschreibt Mensing.

Nun beim Fairteiler holt sich Mensing nun einen Korb mit Champignons, Kartoffeln, Erdbeeren, Brot ab. Was er nicht gebrauchen kann, verschenkt er an andere in der Warteschlange. Hier beim Fairteiler anzustehen, empfinde er derweil nicht als peinlich. „Das Essen würde am Ende in der Tonne liegen“, sieht er hierin einen Beitrag gegen die Verschwendung.

„Wir sehen, dass immer mehr Menschen zu uns kommen“

In den zwei Jahren seit der Gründung hat sich das Angebot durchaus etabliert. Zu den drei Öffnungstagen pro Woche kämen je rund 100 Menschen, sagt Andreas Gottschalt, einer der Ideengeber des Fairteilers und geschäftsführender Gesellschafter der gemeinnützigen Unternehmergesellschaft Gastro Hilft – und das in einer Stadt mit weniger als 40.000 Einwohnern. Junge, Alte, Rentner, Berufstätige, Sozialhilfeempfänger reihen sich hier gleichermaßen ein. Mit den Lebensmittel- und Geldspenden des Fairteilers und in Zusammenarbeit mit lokalen Küchen bekommen Obdachlose täglich eine warme Mahlzeit serviert.

Anders als bei den Tafeln – die es in Halberstadt auch gibt – beobachte er nicht, dass die Zahl der geretteten Lebensmittel zurückgehe. „Wir bekommen eigentlich die gleiche Menge. Bloß sehen wir, dass immer mehr Menschen zu uns kommen, die vorher hier nicht aufgetaucht sind und jetzt plötzlich bedürftig werden“, sieht Gottschalt den Zusammenhang mit der Inflation. Um jedem etwas anbieten zu können, müssten die Ausgaben nun reguliert werden.

Auch an anderer Stelle versucht das Team um Gastro Hilft, die finanziellen Schwierigkeiten zu lindern: Freiwillige, die selbst hilfsbedürftig oder beeinträchtigt sind, würden über das eigene Netzwerk auch Arbeitsplätze vermittelt, schildert Gottschalt – und wenn es erst einmal ein Minijob ist. „Jeder ist irgendwie vermittelbar“, ist Gottschalt überzeugt: „Man muss bloß rausfinden, was die Fähigkeiten sind und wohin und mit welcher Intensität.“ Erst kürzlich habe eine oft ältere und vielseitig talentierte Freiwillige so wieder mit einem Minijob in einem Supermarkt Fuß fassen können. „Mal sehen, was daraus wird“, hofft Gottschalt auf eine weitere Beschäftigung. Die würde er gerne auch mit dem gemeinnützigen Unternehmen anbieten, doch das gebe die Finanzlage nicht her.

„Die Heizung traue ich mich gar nicht anzumachen“

Wie schwer es ältere Menschen auf dem Arbeitsmarkt haben, weiß auch Wolfgang Böhm. Ihm und seiner Frau fehlen noch ein paar Jahre bis zur Rente, derzeit leben sie von Arbeitslosengeld zwei – also Hartz IV. „Was wollen Sie denn da erwarten auf dem Arbeitsmarkt?“, fragt er. Dabei müsse der dreiköpfige Haushalt nun 75 statt wie bisher 48 Euro für den Strom aufbringen. „Zirka 700 kW im Jahr verbrauche“, erzählt er von einer sparsamen Lebensweise. Doch der Anbieter habe nach der Ablesung im November einfach geschätzt, dass im Dezember 100 kW verbraucht würden. Zumal der Preis für die Kilowattstunde bis zum Sommer von 30 auf 50 Cent steigen solle.

„Die Heizung traue ich mich gar nicht anzumachen“, sagt Böhm mit Blick auf die Preissteigerungen: „Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll, da werden wir wahrscheinlich im Kalten sitzen nächsten Winter.“

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In den Supermärkten suche er nun gezielt nach Angeboten. „Das meiste können wir im Prinzip nicht mehr kaufen“, sagt Böhm und merkt das: „Das war vorher auch schon nicht so einfach.“ Beim Vergleich mit alten Belegen aus D-Mark-Zeiten lasse sich die fortwährende Verteuerung gut nachvollziehen. „Eigentlich kriegt man ja kaum noch was für den Euro“, bemängelt Böhm und vermutet: „In absehbarer Zeit wird man gar nichts mehr dafür bekommen.“ Als Grundproblem macht er Börsenspekulationen mit Lebensmitteln und Rohstoffen aus sowie die stets steigende Geldmenge im Umlauf, die zwischen 2011 und 2021 von knapp 9,5 Billionen auf fast 15,5 Billionen Euro gestiegen ist. Sein Eindruck ist: „Sanktionen gegen Russland treffen hauptsächlich uns, die nur wenig Geld haben.“ Deutschland habe dadurch mehr Nachteile als Putin, der Krieg selbst treibe da die Inflation kaum voran.

In der Schlange am Fairteiler reihen sich auch zwei Frauen ein, eine bezieht Arbeitslosengeld II. „Das macht schon eine Lücke zu“, sagt sie über das Angebot und fügt an: „Alles kann man sich ja gar nicht kaufen.“ Überleben könnte sie wohl auch ohne den Fairteiler, sagt Freundin Carmen, die derzeit Krankengeld erhält. „Aber man kann sich dann nicht mehr andere Sachen leisten“, führt sie weiter aus. Zumal sie so Produkte ausprobieren könne, die sie bisher noch nicht kannte. Ein Anliegen sei auch, die Lebensmittel zu retten. Am späten Nachmittag finden dann auch die zertretenen Tomaten noch eine sinnvolle Verwendung. Als eine ältere Dame mit ihrem Hund ein paar Lebensmittel rettet, freut sich der Vierbeiner über das schmackhafte Obst.

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