Aldi und andere Handelsketten haben in den letzten Wochen und Monaten massiv die Lebensmittelpreise erhöht. Die verletzlichsten Menschen unserer Gesellschaft, die mit geringen Einkommen, sind besonders davon betroffen. Die Entwicklung verschärft die soziale Polarisierung in unserem Land.
Die Politik tut alles Denkbare, und auch einiges noch vor wenigen Wochen Undenkbares, um die Spritpreise an der Tankstelle möglichst nicht steigen zu lassen. Obwohl vieles dafür spricht, dass der Trend der steigenden Preise weit in die Zukunft anhalten dürfte, tut die Politik jedoch bisher nichts gegen die immer teureren Nahrungsmittel. Dies sollte sich schleunigst ändern, zumal die Lösungen auf der Hand liegen.
Bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine waren die Lebensmittelpreise stark angestiegen, zum Teil um fünf Prozent oder mehr. Mit dem Krieg hat sich vieles nochmals verteuert. Vor allem Tierprodukte wie Fleisch, Wurst oder Butter sind deutlich teurer geworden. Es ist schwierig zu sagen, inwiefern diese Preissteigerungen wirklich durch höhere Kosten bei den Produzenten zu rechtfertigen sind. Ähnlich wie bei den Spritpreisen ist nicht in Gänze nachzuvollziehen, wieso die Preissteigerungen gerade jetzt nach dem Ausbruch des Kriegs so massiv sind. Es mag sein, dass manche Anbieter die allgemeine Inflation nutzen, um eh geplante Preiserhöhungen vorzuziehen. Andere Anbieter mögen bereits jetzt mit Hinblick auf mögliche Knappheiten bei Futtermittel oder steigenden Energiepreisen vorsorglich die Preise erhöhen.
Menschen mit geringen Einkommen geben im Vergleich zu Besserverdienenden anteilig das Drei-, Vierfache oder sogar mehr ihres monatlichen Einkommens für Nahrungsmittel aus. Auch wenn es offensichtlich ist, kann man es nicht oft genug betonen: Menschen können in ihrem täglichen Leben auf viele Dinge verzichten, auch zum Teil auf das Auto und manchen Energieverbrauch. Aber sie können nicht auf die Grundversorgung durch Lebensmittel verzichten. Zwar versuchen viele Menschen – und vor allem Bezieher von Hartz IV oder Grundsicherung – zu sparen, indem sie die (noch) billigeren Produkte kaufen. Einen großen Unterschied in der Geldbörse macht das meist nicht. Immer mehr Menschen nutzen daher die Angebote der Tafeln in Deutschland, die fantastische Arbeit leisten, um Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen.
Kindern und Jugendlichen werden wichtige Zukunftschancen genommen
Gerade die stärkere Nutzung der Tafeln sollte ein Weckruf für Gesellschaft und Politik in Deutschland sein. Denn der wirtschaftliche Boom und der steigende Wohlstand der Zehnerjahre ist nicht bei allen Menschen hierzulande angekommen. Ganz im Gegenteil: Das Armutsrisiko, das jede und jeden betrifft, die oder der weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient, ist in den vergangenen 15 Jahren auf 17 Prozent gestiegen. Mit anderen Worten: Jede und jeder Sechste in Deutschland ist von relativer Armut betroffen.
Es sind vor allem Kinder und Jugendliche von alleinerziehenden Müttern, aber auch viele Alleinstehende. Dies heißt natürlich nicht, dass diese Menschen nicht genug zu essen haben. Aber ein Anstieg der Nahrungsmittelpreise bedeutet, dass sie immer weniger für andere Dinge ausgeben können und somit immer weniger soziale Teilhabe erhalten. Sie werden somit immer stärker marginalisiert in unserer Gesellschaft und gerade Kindern und Jugendlichen werden dadurch wichtige Zukunftschancen genommen.
Es ist zu befürchten, dass wir auch in den kommenden Jahren einen Trend mit deutlich steigenden Nahrungsmittelpreisen erfahren werden. Denn eine Umstellung der Lieferketten und steigende Energiepreise dürften viele Vorleistungen für die Landwirtschaft wie Futter- oder Düngemittel verteuern. Auch müssen die Qualitätsstandards von Lebensmitteln mit Blick auf das Tierwohl, den Natur- und Verbraucherschutz deutlich steigen. Und auch müssen Landwirtschaft und Ernährung eine deutliche Transformation erfahren, um das Klima zu schützen. Gerade die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen ihre Ernährung umstellen und vor allem weniger Fleischprodukte konsumieren. Somit könnte der langanhaltende Trend der letzten Jahrzehnte hin zu immer günstigeren Lebensmitteln ein Ende haben und sich umkehren.
Wie die steigenden Preise abgefedert werden können
Dabei dürfen wir nicht ignorieren, dass die steigenden Lebensmittelpreise Menschen in den ärmsten der armen Länder der Welt noch viel härter treffen. Ägypten oder Jemen müssen fast ihren gesamten Weizen für das Grundnahrungsmittel Brot importieren. Die steigenden Preise dürften Millionen von Menschen weltweit in diesem Jahr wieder in absolute Armut treiben – schon während der Pandemie ist dies das Schicksal von mehr als 100 Millionen Menschen weltweit gewesen. Auch wir in Deutschland stehen in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sich dies durch den Krieg und steigende Nahrungsmittelpreise nun nicht noch einmal wiederholt und eine Hungersnot vermieden werden kann.
Aber die Politik sollte auch in Deutschland dringend etwas tun, um die sozialen Härten der steigenden Lebensmittelpreise abzufedern. Das großzügige Hilfspaket von 16 Milliarden Euro der Bundesregierung im März hat fast ausschließlich auf die hohen Energiepreise abgezielt. Doch das allein reicht nicht aus. Eine erste Maßnahme wäre die sofortige Erhöhung des Satzes für Hartz IV und die Grundsicherung. Dabei könnte die Politik sich an der geplanten Erhöhung des Mindestlohns orientieren und diesen Satz um 20 Prozent – oder knapp 120 Euro im Monat – anheben. Dies würde eine ohnehin notwendige Erhöhung nun umsetzen und zudem den betroffenen Menschen etwas Puffer gegen weiter steigende Preise geben.
Mehrwertsteuersenkung käme bei den Verbrauchern an
Eine zweite mögliche Maßnahme wäre die temporäre Abschaffung der reduzierten Mehrwertsteuer von sieben auf null Prozent. Damit würden auch Nahrungsmittel günstiger werden – den deutschen Staat würde es pro Jahr mehr als zehn Milliarden Euro kosten. Die Erfahrung aus dem Jahr 2020 zeigt, dass knapp zwei Drittel solcher Steuersenkungen an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden. Es wäre also ein sehr effektives Instrument, das zudem sehr schnell umgesetzt werden könnte. Und nicht nur Bezieher von Hartz IV und Grundsicherung würden davon profitieren, sondern viele andere Menschen mit geringen Einkommen, die auch unter dem Anstieg der Preise leiden.
Als drittes brauchen wir eine größere Wertschätzung für die vielen ehrenamtlichen Organisationen, allen voran den Tafeln, die eine enorm wichtige Rolle bei der Grundversorgung vieler Menschen in Deutschland spielen. Wir als Gesellschaft sollten nicht nur Forderungen an die Politik stellen, sondern uns selbst stärker engagieren. Gerade die Tafeln würden von einer stärkeren Unterstützung aus der Gesellschaft, von Unternehmen und Bürgerinnen und Bürgern, profitieren, um den Menschen besser helfen zu können, die am härtesten von den höheren Lebensmittelpreisen betroffen sind.
Inflation: Auf Lebensmittel lässt sich nicht verzichten - zeit.de
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