Angesichts stark gestiegener Lebensmittelpreise und hoher Kostenrisiken für die Landwirtschaft nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hat die EU-Kommission am Mittwoch ein Maßnahmenpaket zur Stützung der Agrarmärkte vorgestellt. Neben einer Soforthilfe in Höhe von 330 Millionen Euro für die Ukraine ist ein Hilfspaket von 500 Millionen Euro geplant, das besonders von der Krise betroffenen Bauern innerhalb der EU zugute kommen soll.
Zudem sollen die Regeln für die Nutzung von Brachflächen gelockert worden. Außerdem schlägt die Kommission vor, Beihilfe-Vorschriften der EU so zu ändern, dass die Mitgliedstaaten für einen begrenzten Zeitraum Landwirte unterstützen können, die mit stark gestiegenen Produktionskosten zu kämpfen haben. So haben sich die Preise für viele Düngemittel in den vergangenen Monaten gegenüber 2020 fast verfünffacht.
Die Lebensmittelindustrie trifft zudem, dass der Weltmarktpreis für Weizen gegenüber 2020 auf fast das Doppelte gestiegen ist. Sorgen bereitet weiterhin, dass sich in der Ukraine, einem wichtigen Agrarexporteur, wegen des Krieges laut dem dortigen Landwirtschaftsministerium die Fläche für die Frühjahrsaussaat um rund die Hälfte verringern dürfte.
Die Kommission sieht durch diese Entwicklung „die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in der EU derzeit nicht gefährdet“, wie es in der Mitteilung vom Mittwoch heißt, „da der Kontinent bei vielen landwirtschaftlichen Erzeugnissen weitgehend autark“ sei. Ein Problem für die EU jedoch sei die Importabhängigkeit der europäischen Landwirtschaft bei Futtermitteln. Deshalb sollen vorerst auf Flächen, die aus ökologischen Gründen als Brachen ausgewiesen sind, auch Futterpflanzen angebaut werden dürfen.
Für übergangsweise hinnehmbar hält dies der Göttinger Agrarpolitik-Professor Stephan von Cramon-Taubadel. Zwar solle man sich davon „nicht allzu viel erhoffen“, sagte er WELT, „da als Brachen oft solche Flächen ausgewiesen werden, die wegen der Bodenbeschaffenheit oder der Lage eher unterdurchschnittliche Erträge liefern“. Weil ihre Nutzung dennoch „einige Mehrerträge bringen“ könne, sollte man sie jetzt nutzen, „allerdings nur kurzfristig für einige Jahre“.
Danach müsse es wieder Brachen und andere Formen von ökologischer Vorrangfläche geben, „weil sie für eine nachhaltige Landwirtschaft unverzichtbar sind“, meint von Cramon-Taubadel. Er warnt aber davor, die Krise für eine Kehrtwende zu nutzen: „Wir sollten jetzt nicht anfangen, kurzfristig erforderliche Maßnahmen wie den Verzicht auf Brachen dauerhaft festzuschreiben und damit die sehr sinnvollen agrarpolitischen Reformen der letzten Jahre rückgängig zu machen.“
Weniger Fleisch würde helfen
Mit Blick auf den Fleischkonsum sagte er: „Wenn alle zum Beispiel zehn bis 15 Kilogramm Fleisch pro Jahr weniger konsumieren, muss weniger Tierfutter angebaut werden, können die Flächen also stärker für menschliche Nahrungsmittel genutzt werden. Das würde nennenswert zur Entspannung der globalen Versorgungslage mit Grundnahrungsmittel beitragen.“
Komplex ist die Situation bei Düngemitteln. Auf der einen Seite hat vor allem der russische Lieferstopp bei Stickstoffdünger dafür gesorgt, dass sich die Kosten hiesiger Bauern um mehr als 400 Euro pro Hektar erhöhen können. Insofern sind die von der EU-Kommission nun erlaubten Beihilfen für betroffene Bauern naheliegend.
Indes verweist von Cramon-Taubadel auf internationale Auswirkungen: „Düngemittel-Beihilfen für die europäische Landwirtschaft können die europäische Nachfrage anheizen und dazu führen, dass diese knapp werdenden Produkte noch weniger als ohnehin etwa in Afrika eingesetzt werden können.“ Schon heute aber werde in Afrika zu wenig gedüngt.
„Ginge der knapp werdende Dünger nun fast nur noch in die Industriestaaten, so würden die Erträge in Afrika noch geringer“, warnt von Cramon-Taubadel. „Deshalb sollte die europäische Nachfrage jetzt nicht noch durch Beihilfen künstlich angeheizt werden.“
Bei Umweltverbänden und Grünen hingegen sorgt für scharfe Kritik etwas, das Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski jetzt nicht tut: Der Pole legt die erwartete Kommissionsinitiative zur Reduktion von Pestiziden nicht vor und stellt diese bis zum Frühsommer zurück. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Harald Ebner, Vorsitzender des Umweltausschusses, nannte dies ein „komplett falsches Signal“, das „die Rettung von Bestäubern, Böden und Biotopen“ gefährde.
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Lebensmittel-Knappheit: „Wenn alle weniger Fleisch konsumieren, würde das die Lage entspannen“ - WELT
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