Solche Kurse hat K+S lange nicht gesehen. Der MDax-Wert notiert bei fast 25 Euro je Aktie. Damit sind einstige Rekordhöhen von über 90 Euro zwar noch lange nicht erreicht. Doch eine fast vier Jahre währende Durststrecke scheint beendet. Nur leider ernüchtert der Anlass der Kursrally.
Der Kursgewinn der K+S-Aktie ist eine Reaktion auf die drohende Düngerkrise. Denn auch die Konkurrenz hat kräftig zugelegt – CF Industries und Nutrien gewannen jeweils gut 35 Prozent hinzu, Mosaic sogar fast 60 Prozent. Das Kalkül der kaufwütigen Anleger: Mit den Sanktionen gegen Russland und Weißrussland brechen Rivalen weg, wovon die genannten Konzerne profitieren.
Diese Aussicht findet wenig Begeisterung. Nie waren die Preise für Lebensmittel teurer. Der Preisindex der Ernährungs- und Landwirtschaftorganisation der UNO (FAO) rangiert bei 140,7 Zähler, ein Allzeithoch. Weizen kostete an Europas Terminmärkten zeitweise 424 Euro je Tonne, der Preis der Ölpflanze Raps schoss am Freitag erst auf einen Rekord von 905 Euro die Tonne.
Auch die Profiteure freut der Mangel nicht
Die Preise spiegeln einen drohenden Mangel wider, wenn Weizenexporte aus den Kornkammern Ukraine und Russland ausbleiben. Enorm teurer Dünger verschlimmert diese Lage nur weiter. „Weniger Düngemittel bedeuten niedrigere Erträge dort, wo diese Düngemittel fehlen, zum Beispiel in Afrika. Das wird es zusätzlich erschweren, die fehlenden Lebensmittelmengen durch Mehrproduktion anderswo auszugleichen“, mahnt der Agrarökonom Matin Qaim von der Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn.
Die wenigen Profiteure der Entwicklung sind Konzerne wie K+S. Doch selbst hier bleiben Freudensprünge aus. Zwar stehe K+S im Jahr 2022 vor einem operativen Ertrag von 1,6 bis 1,9 Milliarden Euro und damit vor einem historisch hohen Gewinn, sagte Vorstandschef Burkhard Lohr vergangene Woche bei der Bilanzvorlage für 2021.
Aber: „Es wird gerade sehr viel über Energiepreise und Energiesicherheit geredet. Ich glaube, wir müssen uns mindestens genauso viele Gedanken machen über die landwirtschaftliche Produktion und daraus folgend über die weltweite Versorgung mit Nahrungsmitteln. Das treibt mich wirklich um, das macht mir große Sorgen“, so Lohr.
Warum Dünger gerade so teuer ist
Die Lage am Markt war schon vor dem Krieg mehr als dürftig. Nach Jahren relativ stabiler Preise verteuerte sich Dünger im zweiten Halbjahr 2021 schlagartig – Bloombergs Düngemittelpreisindex für Nordamerika schoss Ende November bis auf 1117 Zähler. Zwölf Monate zuvor hatte der Index bei gerade mal 402 Punkten notiert. Am vergangenen Freitag wiederum markierte das Preisbarometer einen neuen Höchststand bei 1137 Zählern.
Ein für die globale Landwirtschaft gefährlicher Trend war also schon vorhanden. Der resultierte vor allem aus den ebenfalls stark gestiegenen Gaspreisen. Bei der Produktion von Stickstoffdüngern ist Gas unabkömmlich – 80 Prozent der Herstellerkosten bei diesen Düngemitteln entfallen nur auf den Gaspreis. „Firmen können nicht weiter das Risiko auf sich nehmen, bei den heutigen Gaspreisen Düngemittel zu produzieren und für den späteren Verkauf einzulagern“, zitiert Bloomberg einen europäischen Branchenverband.
Nun kommen die Folgen des Kriegs noch hinzu. Russland ist einer der wichtigsten Exporteure für preisgünstigen Dünger jeder Art. Das Land ist nach Kanada auch der weltgrößte Produzent von Kalisalzen, nach Stickstoff- und Phosphatdünger der drittwichtigste Pflanzennährstoff. Wegen der Sanktionen dürften Russlands Ausfuhren in diesem Bereich nun versiegen oder zumindest abnehmen. Moskau selbst rief die Hersteller dazu auf, nicht mehr zu exportieren und stattdessen die heimische Landwirtschaft beliefern.
Brasilien setzt auf „Dünger-Diplomatie“
Abnehmerländer wie Brasilien stehen damit vor einem gewaltigen Problem. Das Land – Exportweltmeister bei Kaffee, Soja und Zucker – bezieht seinen Dünger zu 85 Prozent aus dem Ausland, mit Russland als größtem Zulieferer, wie Bloomberg berichtete. In dieser Woche will das Land bei einem Treffen der FAO darum vorschlagen, Düngemittel bei den Sanktionen auszuklammern. Argentinien und weitere Staaten Südamerikas unterstützen Brasiliens Bitte.
Dem Land zufolge gehe es um „die globale Ernährungssicherheit“. Daneben arbeitet Brasilien aber auch daran, die Agrarindustrie weniger von Einfuhren abhängig zu machen. Bis 2050 sollen nur noch 45 Prozent des benötigten Düngers importiert werden. So sieht es ein am Freitag verkündeter Regierungsplan vor. Dazu will Brasilien etwa Investitionskredite für die lokale Produktion bereitstellen, die Logistik verbessern und Steueränderungen vornehmen.
Gegen den akuten Düngermangel hilft das aber nicht. Kurzfristig müsse das Land auf „Dünger-Diplomatie“ setzen, sagt Brasiliens Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina. Und nicht nur Brasiliens Regierung reagiert auf die Düngerkrise. Das US-Landwirtschaftsministerium leitete vergangene Woche eine Untersuchung des Markts ein.
„Konzentrierte Marktstrukturen und potenziell wettbewerbsschädigende Praktiken lassen Amerikas Bauern, Firmen und Verbraucher mit höheren Kosten, weniger Auswahl, weniger Kontrolle über Kauf und Verkauf und reduzierter Innovation dastehen – was es letztlich für diejenigen erschwert, die davon leben, unser Essen anzupflanzen“, kommentierte Agrarminister Tom Vilsack die Marktuntersuchung. Laut Vilsack würden Farmer und Lebensmittelfirmen vermehrt die Sorge äußern, dass große Firmen entlang der Lieferkette die Lage zu ihrem Vorteil ausnutzen und ihre Marge erhöhen – statt einfach nur Kosten weiterzureichen.
Ein „Wirbelsturm des Hungers“ droht
Selbst im allerbesten Fall also, wenn das Wetter mitspielt und die drohende Düngerkrise durch Mehrproduktion abgefedert wird, wird die Situation die Inflation bei Lebensmitteln antreiben. Was droht, wenn Dünger teuer bleibt und die Getreideströme aus Russland und der Ukraine ausbleiben, wird nochmal deutlich schlimmer.
„Ich fürchte, wenn die Weltgemeinschaft da nicht hilft, vor allem in Afrika, eine ganz fürchterliche Hungersnot und damit auch eine neue Flüchtlingsbewegung“, mahnte K+S-Vorstand Lohr. UNO-Generalsekretär António Guterres wiederum warnte vor einem „Wirbelsturm des Hungers“, der auf die Welt hereinbrechen könnte. Russlands Invasion der Ukraine sei „ein Angriff auf die am meisten gefährdeten Menschen und Länder der Welt“, denn das Land stellt mehr als die Hälfte des Getreides für das Welternährungsprogramm zur Verfügung.
Einer, der weiter dafür kämpft, dass die Welt genug zu essen hat, ist kein anderes als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj selbst. Zwar verhing Selenskyjs Regierung einen Exportstopp für Düngemittel, um den heimischen Markt nicht zu gefährden. Aber: Selenskyj selbst schwörte sein Land vergangenen Freitag darauf ein, seine Agrarwirtschaft weiter zu betreiben.
„In diesem Frühling, wie auch in jedem anderen, müssen wir eine vollständige Aussaat durchführen. So viel wie möglich“, sagte Selenskyj in einer Fernsehansprache, und fügte an: „weil es dabei um Leben geht. Um unser Leben, um unsere Zukunft.“
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