Frische Karotten und Zucchini, Salatköpfe, Gurken und Tomaten, sogar Mangos und Papaya - palettenweise "retten" Günes Seyfarth und Judith Stiegelmayr frische Lebensmittel von Erzeugern, Großhändlern und Supermärkten - und das bis zu sechsmal in der Woche. Dabei ist das Obst und Gemüse frisch und von guter Qualität - es ist nur nicht perfekt genug für den Verkauf.
Alles muss perfekt sein
"Es entspricht nicht mehr dem Bild von Normalität: Es ist nicht perfekt, es ist nicht mehr so schön, es glänzt nicht mehr so wie in der Werbung", erklärt Günes Seyfarth.
Eine Gurke mit einer kleinen Kerbe, eine schon etwas weichere Tomate oder ein Apfel, der einen kleinen Fleck hat - all das landet auf dem Müll. Allein in München 165 Tonnen pro Tag. Günes Seyfarth hat deshalb zusammen mit Judith Stiegelmayr das Projekt Community Kitchen gegründet. In dem ehemaligen Gebäude eines großen Versicherungsunternehmens hat sie den perfekten Standort für ihre Idee gefunden. In dem Haus in Neuperlach in der Fritz-Schäffer-Straße gibt es eine Kantine mit Großküche und genug Platz für Gäste. Hier verarbeiten sie und ihre Mitstreiterinnen die Lebensmittel und bieten frisch gekochte Gerichte an - etwa Zuchini-Kartoffelpflanzerl, Pilzsuppe, Ratatouille und Obstsalat.
Lebensmittel retten heißt Klimaschutz
Die Verschwendung von Lebensmitteln ist kein kleines Problem. Sie hat einen großen Einfluss auf das Klima, denn durch Anbau, Transport, Verpackung und Lagerung werden auch viele Ressourcen verbraucht. Laut www.drawdown.org ist die Lebensmittelwertschätzung die drittwirksamste Maßnahme zum Klimaschutz.
Dennoch werden jeden Tag Tonnen von Lebensmitteln weggeworfen, die erst gar nicht in den Handel kommen. Die Supermärkte - auch die Biomärkte - sortieren stündlich Waren aus, die kleine Fehler aufweisen und werfen sie weg. Kunden kaufen nur perfekt aussehende Ware - doch oft genug werfen auch sie etliches wieder weg, weil sie es nicht rechtzeitig verarbeitet haben. "Wir retten die Lebensmittel, wir verarbeiten die Lebensmittel, und das auch in großen Mengen. Wir haben viele Ehrenamtliche, die uns dabei helfen und so auch selbst aktiv werden im Klimaschutz", sagt Judith Stiegelmayr. In der Großküche können Freiwillige beim Schnippeln und Kochen helfen und gleichzeitig lernen sie, wie gut diese Lebensmittel noch sind. So verändern sich auch ihre eigene Einstellung und ihr Konsumverhalten.
Den Wert von Lebensmitteln entdecken
Günes Seyfarth ist davon überzeugt, dass die Menschen erfahren müssen, was mit den Lebensmitteln passiert, damit ein Umdenken möglich ist: "Wir glauben fest daran, dass es mehr Bildung und Aufklärung braucht. Wir wollen zeigen: 'Leute, da werden wahnsinnig tolle Lebensmittel weggeworfen!'"
Deshalb gibt es im Restaurant der Community Kitchen von Montag bis Freitag immer ganz frisch zubereitete Gerichte. Im Eingangsbereich haben die Gäste außerdem die Möglichkeit, Lebensmittel abzugeben, die sie nicht mehr brauchen - oder auch etwas für sich und andere mitzunehmen.
Kinder lernen in der Küche
Damit es ein Umdenken in der Gesellschaft gibt, ist es wichtig, dass auch Kinder lernen, wie wertvoll Lebensmittel sind. Günes Seyfarth und Judith Stiegelmayr bieten deshalb auch regelmäßig ein Programm für Schulklassen an. Die Kinder lernen, wo die Lebensmittel herkommen, wie sie wachsen und wie man sie zubereiten oder konservieren kann. "Die schnippeln mit uns und lernen hier oft das erste Mal, wie man einen Apfel schneidet", erzählt Günes Seyfarth.
Etwa 60 Prozent der Kinder, die in die Community Kitchen kommen, würden kein Frühstück bekommen, erzählt Seyfarth. Das heißt, dass die Kinder oft bis zur Mittagspause mit leeren Mägen in der Schule sitzen und lernen sollen. Deshalb gibt es in der Community Kitchen in Neuperlach auch ein Schulbrot-Angebot. An Schultagen können sich Schülerinnen und Schüler jeden Morgen zwischen 7 und 8 Uhr ein Schulbrot mit Obst abholen.
Wertschätzung schenken
Günes Seyfarth sieht hinter der Lebensmittelverschwendung auch ein gesellschaftliches Problem - den Drang nach Perfektion und die Abwertung von allem, was davon abweicht:
"Lebensmittelverschwendung ist nur ein Symptom unserer Gesellschaft. Warum? Weil auch Menschen schön sein sollen und dementsprechend bewertet werden. So wie auch Lebensmittel. Deswegen: So wie ich mit Lebensmitteln umgehe, so gehe ich auch mit Menschen um." Günes Seyfarth, Gründerin von Community Kitchen
Deshalb sei sie zur "Mitleids-Käuferin" geworden, sagt sie. Sie wähle bewusst Ware aus, die unperfekt sei und Macken habe. Auch so kann man seinen Teil dazu beitragen, dass Lebensmittel nicht verschwendet werden.
#standwithukraine - Helferinnen und Helfer gesucht!
Die Community Kitchen versorgt auch geflüchtete Menschen aus der Ukraine, die seit dem 22. Februar täglich am Hauptbahnhof in München ankommen. Dafür suchen Günes Seyfarth und Judith Stiegelmayr noch viele Helferinnen und Helfer.
Am Hauptbahnhof werden Menschen gebraucht, die nachts vor Ort sind und warme Getränke ausgeben. Auch Helfer für die Essenausgabe werden dringend gebraucht. In der Großküche in Neuperlach sind Leute willkommen, die beim Schneiden von Gemüse und der Zubereitung der Gerichte mitmachen.
Ganz wichtig sind auch Fahrer mit größeren Autos (Kombi oder Transporter), die das Essen von Neuperlach zum Hauptbahnhof bringen können und mit den leeren Kisten und Gefäßen wieder zurückkommen.
Wer die Community Kitchen unterstützten möchte, kann sich für den Newsletter anmelden. So bekommt man direkt die Listen, um sich für einen Dienst eintragen zu können sowie den Link zur WhatsApp-Gruppe.
Die Community Kitchen - Lebensmittel retten fürs Klima - br.de
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