Alaska-Seelachs hat mit Lachs nichts zu tun, sondern ist ein Handelsname für Pazifischen Pollack – nur, dass Lachs viel edler klingt. Der Trick ist nicht neu, schon seit Jahrzehnten wird die Dorschart als Alaska-Seelachs verkauft, vorzugsweise in Fischstäbchen. Der Fisch an sich ist deshalb ja nicht schlecht, die Sache ist auch legal. Und doch ist es eine Form der Irreführung.
Rund ums Essen wird beschönigt und gelogen, was das Zeug hält. Oft sind Verpackungen halb leer oder sie zeigen grüne Weiden bei Produkten, die aus Lebensmittelfabriken kommen und vor dem Öffnen noch nie von Tageslicht beschienen wurden. Und wer die langen winzgedruckten Zutatenlisten vieler Supermarktprodukte korrekt deuten kann, muss eigentlich schon Lebensmittelchemiker sein.
Die gemeinnützige Organisation Foodwatch, die sich um die Verbraucherinteressen beim Thema Lebensmittel sorgt, erinnert jedes Jahr daran, wenn sie den »Goldenen Windbeutel« kürt: »Welches Produkt ist die dreisteste Werbelüge des Jahres?«, so lautet die Ausgangsfrage.
In diesem Jahr stehen vor allem Nachhaltigkeitsthemen im Vordergrund, das spiegelt die Werbetrends der Lebensmittelbranche wider. »Klimakrise, Abholzung und Plastikmüllberge: Unsere Ernährungsweise hat ihren Anteil an den riesigen Problemen, vor denen wir heutzutage stehen. Aus dem Bedürfnis von Verbrauchern und Verbraucherinnen nach mehr Nachhaltigkeit will die Lebensmittelindustrie jetzt Kasse machen und vermarktet ihre Produkte als Rettung für Umwelt und Klima«, sagt Manuel Wiemann von Foodwatch. Unter seiner Leitung wurden wieder fünf Produkte zusammengestellt, die Foodwatch – im negativen Sinn – für preisverdächtig hält.
In den kommenden Wochen soll dann die Öffentlichkeit auf goldener-windbeutel.de abstimmen, welchen Werbeclaim sie für den unehrlichsten hält. Wir stellen die Windbeutel-Kandidaten vor und zeigen, was Foodwatch daran auszusetzen hat.
Danone: Volvic Natürliches Mineralwasser
Klares Wasser, und dann auch noch »klimaneutral zertifiziert«, wie auf dem Etikett der Volvic-Flaschen zu lesen ist. Der Danone-Konzern möchte bei seinem Wasser, das hauptsächlich in Deutschland und Frankreich verkauft wird, besonders umweltfreundlich erscheinen, das sei »schon immer das Herzstück unserer DNA«. So werde Volvic etwa mit erneuerbaren Energien abgefüllt.
Dagegen urteilt Foodwatch: »Das Wasser in der Einwegflasche ist alles andere als ein besonders klima- oder umweltfreundliches Produkt.« Die Plastikflasche muss schon nach einmaliger Nutzung recycelt werden, während Glasflaschen im Schnitt 50 Mal wieder befüllt werden. Außerdem werde das Wasser aus Frankreich über Hunderte von Kilometern mit Lkw transportiert. Wer in Deutschland Leitungswasser trinkt oder das Wasser aus nahegelegenen Mineralbrunnen, leiste einen viel größeren Beitrag fürs Klima. Laut eigenen Angaben emittiert Volvic für all seine Produkte mit natürlichem Mineralwasser pro Liter 121,5 Gramm CO2-Äquivalente. Wasser aus der Glasmehrwegflasche kommt laut Studien auf 84 Gramm, Leitungswasser gar auf 0,35 Gramm.
Das sagt das Unternehmen: Danone antwortet auf Anfrage, seit August 2020 verwende man ausschließlich recyceltes PET für die Einwegflaschen. Für lange Transportwege seien diese Flaschen die »ökologisch sinnvollste Verpackung«, darüber hinaus habe man ein regionales Mineralwasser auf den Markt gebracht, das in Glaspfandflaschen verkauft wird. Den Claim »Klimaneutral zertifiziert« rechtfertigt der Konzern damit, dass Volvic »dank jahrzehntelanger, unterschiedlicher aktiver Maßnahmen zur Reduktion des CO2-Fußabdrucks sowie durch Kompensation der restlichen Emissionen klimaneutral in Scope 1, 2 und 3« sei. Das habe die Organisation Carbon Trust zertifiziert.
J. J. Darboven: Mövenpick Green Cap
Kaffeekapseln sorgen für unverhältnismäßig viel Müll – ohne diese Technik käme ja niemand auf die Idee, so kleine Mengen Kaffee einzeln zu verpacken. Darboven hat mit seinem Kaffee Mövenpick Green Cap scheinbar eine Lösung parat: Die Kapseln sollen kompostierbar und biologisch abbaubar sein, wirbt der Kaffeekonzern. Allerdings steht hinter dem Wort »kompostierbar« auf der Packung ein Sternchen. In der Fußnote heißt es dann, die Kundschaft müsse bitte selbst prüfen, ob das Abfallunternehmen, das den eigenen Hausmüll entsorgt, den Standard EN 13432 unterstützt, nach dem das alles garantiert wird.
Das ist ein Problem: Denn »quasi die gesamte Abfall-verarbeitende Industrie lehnt kompostierbares Plastik in der Biotonne grundsätzlich ab«, so Foodwatch. 95 Prozent der Abfallverwerter können es laut einer Studie der Deutschen Umwelthilfe nicht verwerten, weil es zu langsam zerfällt. Dieses Plastik verunreinigt dann das übrige Kompostgut, es werde heraussortiert und verbrannt. Damit sind die Green Caps nicht besser als andere Kaffeekapseln.
Das sagt das Unternehmen: Darboven nennt die »aktuelle Situation der Entsorgungswege« selbst unbefriedigend. Bei der Entwicklung des Produkts sei man von einer positiveren Entwicklung ausgegangen: »Auf dem Weg zu nachhaltigerem Verpackungsmaterial haben sich viele Lebensmittelhersteller entschlossen, den Weg der industriellen Kompostierbarkeit zu wählen. Daher waren wir zuversichtlich, dass die Entsorgung zeitnah zu einem wesentlich höheren prozentualen Anteil für den Verbraucher gewährleistet ist.« Man arbeite »im Moment mit Hochdruck« an einer anderen Lösung, die im ersten Halbjahr 2022 umgesetzt werde.
Katjes: Wunderland Sauer + Vitamine
»Wer hätte gedacht, dass Naschen so vitaminreich sein kann?« Das fragt Katjes bei seinen Wunderland Fruchtgummis. Wer hätte gedacht, dass darin so viel Zucker steckt, fragt man sich eher, wenn man die Zutatenliste durchgeht.
Denn das Naschwunder enthält 60 Gramm Zucker pro 100 Gramm, 30 Prozent mehr als Haribo Goldbären. Sechs Vitamine sind auch drin, werden aber nicht vor Übergewicht schützen. Auf der Katjes-Webseite gibt es gar keinen Hinweis zum Zuckergehalt (Stand: 16.11.21). So oder so handele es sich um irreführende Werbung, die das Naschen solcher Zuckerbomben verharmlose, findet Foodwatch.
Das sagt das Unternehmen: Katjes hat auf eine Anfrage des SPIEGEL nicht geantwortet.
Naturally Pam by Pamela Reif: Clean Protein Bar
Dieser Proteinriegel der Fitness-Influencerin Pamela Reif soll besonders vorbildlich verpackt sein. Damit man das wahrnimmt, finden sich darauf hübsche Logos, wonach die Folie »plastikfrei«, »biologisch abbaubar« und »biobasiert« sei.
Tatsächlich besteht sie aus PLA (Polylactide), einem Kunststoff, der aus natürlichen Rohstoffen produziert wird. Ein Kunststoff ist PLA aber dennoch, umgangssprachlich: Plastik. »Plastikfrei« ist da also nichts, findet Foodwatch. Und abbaubar ist der Stoff abermals nur nach DIN EN 13432, sprich: in den meisten Kompostanlagen gar nicht. Damit handele es sich aber bei den Begriffen »plastikfrei« und »biologisch abbaubar« um »Verbrauchertäuschung«, so die Verbraucherorganisation. Die Verpackung biete keine Vorteile gegenüber anderen Plastikfolien, das habe für solche Verpackungen auch das Umweltbundesamt festgestellt.
Das sagt das Unternehmen: »Uns ist klar, dass unsere Verpackungen nicht ideal sind, weil die Abfallwirtschaft noch nicht die nötigen Bedingungen bietet, damit unsere Verpackungsfolie richtig kompostiert werden kann«, sagt Geschäftsführer Jannik Stuhlmann auf Anfrage. Deshalb weise man auf der Packung und auf den Produktseiten darauf hin, dass die Folie derzeit nur im Gelben Sack korrekt entsorgt werden kann. »Wir hoffen sehr, dass das ein Zwischenschritt zu einer besseren Entsorgung ist.«
Rewe: Wilhelm Brandenburg Hähnchen-Brustfilet
Das Hähnchen-Brustfilet von Rewes Eigenmarke Wilhelm Brandenburg trägt deutlich sichtbar ein »Klimaneutral«-Logo. Wie soll das gehen? Schließlich trägt die Tierhaltung laut Umweltbundesamt 15 Prozent zu den vom Menschen verursachten Emissionen von Treibhausgasen bei. Auch wenn der Ausstoß bei Rindfleisch deutlich höher ist als bei Geflügel: Fleisch selbst ist nicht klimaneutral. Deshalb hat Rewe Zertifikate eines Klimaprojekts für nachhaltigen Paranussanbau gekauft, um die Emissionen zu kompensieren: Wachsen mehr Bäume in Peru, soll das die Klimaschäden durch deutsche Hähnchen ausgleichen.
Doch eine Recherche von Foodwatch ergab laut der Organisation: Das unterstütze Projekt in Tambopata »schützt den Wald nicht« und »hätte keine CO2-Zertifikate ausgeben dürfen«. Schon die These, mit der Unterstützung von Paranuss-Bäuerinnen würde die Entwaldung in Peru gebremst, sei »fragwürdig«. Außerdem hätten die Bäuerinnen bis 2014 kein Geld aus dem Projekt bekommen – aus dem Zeitraum stammen aber die Rewe-Zertifikate, nämlich 2010 bis 2012. In jener Zeit sei der Waldbestand in der Gegend sogar zurückgegangen, schreibt Foodwatch. Die Kritik an dem Projekt hätte auch Rewe erreichen müssen, meint Foodwatch.
Das sagt das Unternehmen: Im genannten Zeitraum habe Rewe nicht mit dem Zertifizierungsunternehmen zusammengearbeitet, daher »können wir leider keinen Beitrag zur Beantwortung leisten«, schreibt ein Unternehmenssprecher. Erst seit 2021 bestehe die Kooperation. Laut Zertifizierer ist das Projekt zudem durch den »Verified Carbon Standard (VCS) Gold Level« validiert. Dass die verwendeten Zertifikate auch älter sein können als von 2021, dementiert Rewe nicht.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels war das Jahr falsch angegeben, seit dem Danone ausschließlich recyceltes PET für die Volvic-Einwegflaschen verwendet. Außerdem hieß es, dass Volvic in vielen Märkten vertrieben werde, der Verkauf konzentriert sich aber im Wesentlichen auf Deutschland und Frankreich. Carbon Trust wird von Danone nicht unterstützt, sondern hat den Konzern beraten und zertifiziert. Die Angaben wurden korrigiert.
Dreiste Lebensmittelwerbung: Das sind die Kandidaten für den »Goldenen Windbeutel« - DER SPIEGEL
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