Eine Kiste voller Kartoffel, Äpfel, mit nur wenigen braunen Flecken, Salatköpfe oder mehrere Kürbisse –all diese Lebensmittel hat der 23-jährige Student Moritz H. aus Müllcontainern von Würzburger Supermärkten geholt. Doch obwohl diese bereits entsorgt wurden, macht er sich strafbar. "Ich bin mir in dem Moment, wo ich container, bewusst, dass ich mich selbst kriminalisiere", sagt er. "Deswegen ist da definitiv eine Angst, erwischt zu werden." Trotzdem entscheide er sich aktiv dazu, containern beziehungsweise Mülltauchen zu gehen.
Ihm gehe es vor allem um den moralischen Aspekt. Finanziell hat der Würzburger, der neben dem Studium an einem Start-up-Unternehmen mitarbeitet, keine Sorgen. "Ich kann es nicht mit mir vereinbaren, dass jährlich elf Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden, gleichzeitig Menschen in anderen Teilen der Welt verhungern. Und auch in Deutschland viele unter der Armutsgrenze leben und sich zum Teil keine Lebensmittel leisten können", erklärt er. Dass beides gleichzeitig möglich sei – Lebensmittelverschwendung und Armut – verstehe er nicht.
Den meisten Supermarktbetreibern sei bewusst, dass bei ihnen containert werde
Wo er in Würzburg nach Ladenschluss containern geht, richte sich danach, welche Supermarktcontainer öffentlich zugänglich sind. Denn um Lebensmittel zu retten, würde er keinen Hausfriedensbruch und keine Sachbeschädigung begehen. "Meine einzige Straftat ist es, die Mülltonne zu öffnen und mir das Eigentum von anderen, das sie weggeworfen haben, anzueignen", fasst der Student zusammen.
Dass Menschen wie Moritz H. bestraft werden, würden auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gerne ändern. Ein Vorschlag der beiden Minister sieht vor, dass containern unter bestimmten Bedingungen straffrei bleibt. Nämlich dann, wenn keine Sachbeschädigung begangen wurde. Für den 23-Jährigen sei dieser Vorstoß zwar ein erster Schritt, ihm gehen die Pläne aber noch nicht weit genug. "Ich finde die Debatte absurd. Warum landen die Lebensmittel überhaupt im Müll, das ist doch die eigentliche Frage, um die es geht." Deshalb sollte seiner Meinung nach nicht das Containern, sondern die Lebensmittelverschwendung verboten sein.
Das Problem sieht er nicht bei den Filialleitungen, sondern den gesetzlichen Regelungen. Den meisten Supermarktbetreibern in Würzburg sei bewusst, dass bei ihnen containert werde, so Moritz Hanl. Auch er sei schon einmal von einem Angestellten eines Supermarktes entdeckt worden. "Ich kann nicht sagen, ob es sich dabei um den Besitzer oder eine Reinigungskraft gehandelt hat, aber die Person hatte mir gesagt, 'von mir aus darfst du weitermachen'." Einige Ladenbesitzer würden sich laut ihm aktiv dafür entscheiden, die Container frei zugänglich zu lassen.
Die Debatte um Straffreiheit beim Containern lenke vom eigentlichen Problem ab
Nicht so Marco Trabold und Stefan Lutz. Trabold, der mehrere Edeka-Trabold-Märkte in Würzburg und im Landkreis Main-Spessart besitzt, verweist darauf, dass bei seinen Märkten eine Müllpresse zum Einsatz komme. "Wenn wir etwas in die Tonne werfen, dann wird es direkt weg gepresst, da kommt dann niemand mehr ran." Die Müllcontainer von Stefan Lutz, Inhaber eines Würzburger Rewe-Marktes, befänden sich hingegen hinter einem Schloss. Deshalb stelle Containern für die beiden Einzelhändler bislang kein Problem dar. Sollten sie trotzdem einem Mülltaucher begegnen, würden sie nicht gesetzlich dagegen vorgehen.
"Ich sage immer, macht keine Sauerei, passt auf euch und verletzt euch nicht, da sich im Müllcontainer auch Scherben befinden."
Stefan Lutz, Filialleiter eines Würzburger Rewe-Marktes"Nein, warum sollte ich das tun", sagt Stefan Lutz. "Ich sage immer, macht keine Sauerei, passt auf euch auf und verletzt euch nicht, da sich im Müllcontainer auch Scherben befinden." Vielmehr verstehe er nicht, wieso Containern unter Strafe steht und äußert im Gespräch Verständnis für Menschen, die Lebensmittel aus dem Müll retten. Die Debatte über die Straffreiheit lenke für ihn aber vom eigentlichen Problem ab: Der Frage, warum sich viele Menschen Lebensmittel nicht mehr leisten können. Kaufland und Lidl stellten auf Anfrage nur Maßnahmen zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung vor, zum Containern wollten sich die Pressestellen nicht äußern.
"Jeder entsorgte Joghurt schmälert unseren Verdienst"
Noch deutlichere Worte findet Mario Schrader vom Würzburger Unverpacktladen: "Ich finde es eine Schande, dass Leute bestraft werden, wenn sie Lebensmittel aus dem Müll retten. Der Betrieb hat sich ja entschieden, diese zu entsorgen, weil sie daran nichts mehr verdienen." Er meint, Containern sollte, solange keine Sachbeschädigung damit einhergeht, straffrei sein. Besser wäre in seinen Augen jedoch ein Gesetz wie in Frankreich, welches Supermärkte dazu verpflichtet, übriggebliebene Lebensmittel reduziert zu verkaufen oder zu spenden.
"Ich finde es eine Schande, dass Leute bestraft werden, wenn sie Lebensmittel aus dem Müll retten."
Mario Schrader vom Unverpacktladen WürzburgDem schließt sich auch Sarah Gorke, Botschafterin der Initiative Foodsharing Würzburg, an. Für sie ist der Vorstoß der beiden Minister nur Symptombekämpfung, denn Lebensmittelverschwendung gäbe es in der gesamten Produktionskette. "Um dies zu verringern, braucht es deutlich differenziertere und härtere Maßnahmen", appelliert sie. Sowohl Trabold als auch Lutz versichern, dass durch die Zusammenarbeit mit der Tafel, Foodsharing oder Bauern aus der Region kaum Lebensmittel bei ihnen in der Tonne landen würden.
"Jeder entsorgte Joghurt schmälert unseren Verdienst, und das gilt es bereits zuvor zu vermeiden", erklärt Trabold. Immerhin müsse der Müll nach Gewicht bezahlt werden. Es sei also auch als Kaufmann nicht in seinem Interesse, Lebensmittel wegzuschmeißen. Dies bestätigt auch der Vorsitzende der Würzburger Tafel, Andreas Mensing. Containern sei bei ihren Partner-Supermärkten kein Thema. Die Lebensmittel, die dort noch übrig blieben, seien tatsächlich Müll. Bei Supermärkten ohne Partnerschaft mit der Tafel, könne er aber nicht ausschließen, dass noch genießbare Lebensmittel weggeworfen würden. "Wenn in einem Container brauchbare Lebensmittel drinnen sind, warum sollten sich die Leute das nicht holen dürfen?", meint er.
Vor allem Kartoffeln befinden sich in den Supermarkt-Containern
Auch Moritz H. entdecke regelmäßig genießbare Lebensmittel in den Müllcontainern von Supermärkten. Darunter befänden sich immer Obst und Gemüse, vor allem größere Mengen an Kartoffeln, die noch in einem guten Zustand seien. Die Lebensmittel seien "nicht schlecht, da ist nichts Grünes dran". Vergiftungen durch Produkte aus Containern, vor denen vor allem der Lebensmittelverband warnt, hätte er sich noch keine zugezogen.
Um festzustellen, ob ein Produkt noch genießbar ist, verlasse er sich ganz auf seine Sinne: tasten, riechen, schmecken. Leicht verderbliche Lebensmittel wie Fleisch fände er sowieso nur selten, dafür habe er einmal eine ganze Kiste Schokoladenosterhasen mitgenommen. Mehrfach seien die Produkte bereits in einer Tüte verpackt gewesen, um diese direkt mitnehmen zu können. "Da glaube ich einfach mal an den guten Willen der Angestellten oder der Filialleitung", sagt er. Trotzdem würde er sich wünschen, nicht mehr containern gehen zu müssen, um Lebensmittelverschwendung zu verhindern.
Straffreiheit für "Containern": Was Würzburger Supermärkte und Menschen, die containern, über die potenzielle neue ... - Main-Post
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