Die Inflation ist so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr. Sozialverbände fordern deshalb, die Mehrwertsteuer für Lebensmittel auf null Prozent zu senken. Hilft das wirklich?
Überblick
Das Leben wird teurer und die Deutschen ärmer. Die steigenden Preise fressen immer mehr vom Netto auf, die Inflation wird zunehmend zum Problem für viele Menschen. Besonders betroffen: Haushalte, die ohnehin nicht viel im Portemonnaie haben.
Damit sie nicht am Nötigsten zum Leben sparen müssen, wird jetzt über eine Absenkung der Mehrwertsteuer für Lebensmittel diskutiert. t-online erklärt, was das brächte, wie viel Sie dadurch theoretisch sparen könnten – und ob es in der Praxis überhaupt dazu käme.
Worum geht es genau?
Die Idee hatten mehrere Sozialverbände, darunter der VdK: Um Verbraucher im Alltag finanziell zu entlasten, soll der Staat bei Lebensmitteln wie Obst und Gemüse auf die Mehrwertsteuer verzichten.
In der Regel beträgt diese 19 Prozent. Ein reduzierter Satz von 7 Prozent gilt für Produkte, die dem Gemeinwohl dienen – dazu zählen auch Grundnahrungsmittel wie Milch, Fleisch, Obst, Gemüse und Backwaren. Fiele Steuer weg, könnte eine Packung Nudeln etwa statt 1,89 Euro künftig 1,77 Euro kosten (siehe nächster Abschnitt).
Eine aktuelle Umfrage zeigt: Eine breite Mehrheit von 77 Prozent der Deutschen ist für die Null-Prozent-Mehrwertsteuer. Auch Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) unterstützte die Forderung zuletzt, ebenso das Umweltbundesamt, das am Wochenende eine generelle Abschaffung der Mehrwertsteuer für pflanzliche Lebensmittel vorgeschlagen hatte.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne): Eine abgesenkte Mehrwertsteuer für Lebensmittel kann er sich gut vorstellen. (Quelle: imago images)
Bei FDP und SPD stößt die Idee eher auf Skepsis. Verwiesen wird auf zwei bereits auf den Weg gebrachte Milliardenpakete mit anderen Entlastungsmaßnahmen. Zudem heißt es, dass sich die Absenkung der Mehrwertsteuer im ersten Corona-Krisenjahr 2020 kaum im Geldbeutel der Deutschen bemerkbar gemacht – zugleich aber rund 20 Milliarden Euro gekostet habe.
Wie hoch die Kosten dieses Mal wären, ist derweil ebenso umstritten wie die Frage, wie sehr Lebensmittel ohne Mehrwertsteuer wirklich etwas brächten. Während viele Experten die Maßnahme als wenig zielgerichtet einschätzen, weil sie sich auch an wohlhabendere Haushalte richtet, argumentieren andere damit, dass Ärmere anteilig viel mehr ihres Geldes für Lebensmittel ausgeben müssen. Sie würden also stärker entlastet.
Wie sehr könnten die Preise theoretisch sinken?
Sollte die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel komplett fallen, könnten die Preise theoretisch um den jeweiligen Satz an Mehrwertsteuer sinken. Das heißt also:
- Wer für eine 500-Gramm-Packung Hackfleisch derzeit 3,99 Euro zahlt, müsste dann nur noch 3,73 Euro zahlen, der ermäßigte Satz von 7 Prozent Mehrwertsteuer würde wegfallen.
- Anderes Beispiel, Orangensaft: Wird aktuell für eine Flasche 1,29 Euro fällig, sähe dies ohne Mehrwertsteuer von 19 Prozent anders aus. Der Saft würde nur noch 1,08 Euro kosten.
- Und bei einer Packung Nudeln, die aktuell 1,89 Euro kostet, läge der Preis bei 1,77 Euro. Angenommen der ermäßige Satz von 7 Prozent würde entfallen.
Tatsächlich ist aber fraglich, inwiefern die Lebensmittelketten eine Mehrwertsteuersenkung wirklich weitergeben würden. Auch Wettbewerbsökonom Christian Rusche vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sieht das so.
Christian Rusche, Wettbewerbsökonom am IW Köln. (Quelle: privat)
"Ich gehe zwar nicht von einer kompletten Eins-zu-Eins-Entlastung aus", sagt er t-online. Das hätte man auch beim Corona-Paket 2020 gesehen. Damals senkte der Bund die Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent, und von 7 auf 5 Prozent ab. "Nicht überall wurde das auch weitergereicht."
Doch im Lebensmitteleinzelhandel sei der Preiskampf schon enorm, so Rusche. "Bei vielen Produkten würden Kunden einen Wegfall der Mehrwertsteuer spüren. Auch wenn die Preise womöglich nicht gleich sinken würden", so Rusche.
Vielmehr wäre es so, dass Discounter die Preise nicht weiter anziehen würden. "Die Preisexplosion bei Lebensmitteln wäre gestoppt."
Derzeit halten sich Lebensmittelketten noch zurück, wollen über einen Wegfall der Mehrwertsteuer und die Folgen für Kunden nicht spekulieren.
Was sagen die Lebensmittelhändler dazu?
Die Lebensmittelhändler halten sich bei dem Thema bedeckt. Auf Anfrage von t-online will Edeka sich nicht äußern. Aldi Süd teilt mit, man wolle weiterhin "bestmögliche Qualität zum bestmögliche Preis" anbieten. Vor weiteren Preiserhöhungen würden alle Alternativen geprüft. Rewe und die Schwarz-Gruppe, zu der Lidl und Kaufland gehören, ließen die Anfrage bis zuletzt unbeantwortet.
Der Handelsverband (HDE) hält die Mehrwertsteuersenkung nicht für das richtige Mittel in der aktuellen Situation. "Stattdessen sollte die Bundesregierung die staatlichen Transfers entsprechend erhöhen und gegebenenfalls bei ihrem Entlastungspaket entsprechend nachbessern", sagte Sprecher Stefan Hertel t-online. Dies sei zielgenauer und helfe dort, wo es nötig ist.
Zudem sieht der Verband Probleme bei der Umsetzung. "Für eine temporäre Mehrwertsteuersenkung wäre zudem der Aufwand der Umstellung sowie der Rückumstellung an den Kassen und Regalen enorm", so Hertel.
Lebensmittel und ihre steigenden Preise: So billig wären sie ohne Mehrwertsteuer - t-online
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