Das Projekt „Naturkind“ ist alles andere als ein Schnellschuss. Schon seit zweieinhalb Jahren testet die Supermarkt-Gruppe Edeka ihr eigenes Bioladen-Konzept. Die Kaufleute haben dafür eigens eine ehemalige Güterbahnhalle in Hamburg-Altona chic umgebaut.
Nun ist der Test abgeschlossen: Edeka eröffne noch in diesem Jahr weitere „Naturkind“-Läden und bringe zugleich Bio-Produkte unter der jungen Marke in seine Läden, teilt Edeka mit. Der Händler stärke damit „seine Bio-Offensive“.
Doch trotz der sorgfältigen Vorbereitung kommt der Vorstoß zu einem schwierigen Zeitpunkt: Der Ukraine-Krieg treibt die Lebensmittelpreise so rasant wie seit Jahren nicht mehr. Experten rechnen bereits damit, dass die Verbraucher verstärkt auf billige Eigenmarken zurückgreifen. „Eher teure Bio-Lebensmittel verlieren an Bedeutung“, warnt die Beratung PwC.
„Wenn die Inflation hoch bleibt oder weiter steigt, werden sich Verbraucher häufiger für günstigere Produkte entscheiden und aktiv nach Sonderangeboten suchen“, sagt auch Daniel Läubli von McKinsey. Er beruft sich auf eine aktuelle Studie. Demnach wollen vor allem Haushalte mit niedrigem Einkommen verstärkt auf den Preis achten.
Minister Özdemir will einen Bioanteil von 30 Prozent
Das ist eine abrupte Wende. In den vergangenen Jahren haben Bio-Lebensmittel stetig Marktanteile gewonnen. Längst haben die hochwertigen Lebensmittel die reinen Bioläden verlassen und selbst die Discounter erreicht. Dazu trug die politische Förderung bei: Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) will bis 2030 einen Bioanteil von 30 Prozent in der deutschen Landwirtschaft erreichen.
In Zeiten niedriger Arbeitslosigkeit und steigender Einkommen standen die Zeichen dafür gut: Die einst als Europas Sparweltmeister verschrienen Deutschen gaben mehr Geld für Lebensmittel aus, die Discounter verloren Marktanteile zugunsten der klassischen Supermärkte. Und alle Betreiber überboten sich gegenseitig mit immer größeren imageträchtigen Biosortimenten.
Doch mit Rekordinflation und Konjunktursorgen dreht sich das Bild. „Nachdem die europäischen Lebensmittelhändler die Pandemie gut überstanden haben, steht ihnen ein schwieriges Jahr bevor. Inflationsdruck, Preissensibilität und verstärkter Wettbewerb werden viele der positiven Trends, die sie erlebt haben, umkehren“, warnt Experte Läubli.
Zwar gibt es noch keine aktuellen Marktdaten zu Bio-Produkten seit dem Kriegsbeginn, doch wochengenaue Angaben zum Verbraucherverhalten geben eine Indikation: Der Marktforscher IRI meldet, dass die Discounter seit dem Beginn des Ukraine-Konflikts deutlich mehr Kunden verzeichnen.
So lag ihr Umsatz in den vergangenen beiden Wochen jeweils um elf Prozent über der jeweiligen Vorjahreswoche, während die klassischen Supermärkte nur ein bis drei Prozent mehr umsetzten – also unter der Inflationsrate von zuletzt 7,3 Prozent blieben.
Das ist eine Folge knapper Kassen bei den Kunden: Für den durchschnittlichen deutschen Haushalt ergeben die aktuellen Preissteigerungen laut PwC Mehrkosten von bis zu 242 Euro im Monat. Davon gehen 65 Euro auf höhere Lebensmittelpreise zurück. Der Rest entfällt hauptsächlich auf Energie. 58 Prozent der Verbraucher wollen nun verstärkt auf Sonderangebote achten.
Flut von Sonderangeboten vor den Feiertagen
Diese Botschaft ist bei den Händlern angekommen. So hat Aldi zwar in der vergangenen Woche viele seiner Eigenmarken deutlich teurer gemacht, zugleich aber mit Lockangeboten bei anderen Produkten dagegengehalten. Eine Folge: Markenbutter war plötzlich günstiger als die Eigenmarke.
„Rabatte sollen Ostern retten“, titelt bereits das tonangebende Fachblatt der Branche, die „Lebensmittel Zeitung“. Ziel der vermeintlichen Sonderangebotsflut vor den Feiertagen ist es, Kunden in den Markt zu locken – und den Blick von den Preissteigerungen möglichst abzulenken. Schlecht geeignet für solche klassischen Lockangebote sind Bio-Produkte, die eher das Qualitäts-Image aufpolieren.
Die Biobauern, die nicht über Nacht zu konventionellem Anbau zurückkehren können, hoffen dennoch darauf, dass der Preisabstand zwischen bio und konventionell stabil bleibt. Schließlich steigen Dieselkosten und Mindestlohn für alle Landwirte. „Daher dürfte die Ausweichbewegung geringer ausfallen als bei früheren Preisschocks, die nur einzelne Produkte betrafen“, sagt Bauernverband-Generalsekretär Bernhard Krüsken zu WELT.
Allerdings droht dem Biolandbau auch noch ein Imageproblem. In der Ukraine dürfte die Hälfte der Weizenernte ausfallen, Russland drosselt die Exporte. In den ärmeren Ländern des globalen Südens, die auf Einfuhren angewiesen sind, droht eine Hungernot.
Die Diskussion, ob in solch einer Situation die Förderung des Biolandbaus nicht zugunsten der deutlich ertragreicheren konventionellen Landwirtschaft zeitweise eingefroren werden sollte, hat gerade erst begonnen. „Wir wollen keine Abkehr von den Nachhaltigkeitszielen“, sagte etwa der CDU-Politiker Steffen Bilger im Bundestag. „Aber jetzt gehört die Ernährungssicherheit in den Mittelpunkt.“ Bio, so der Subtext, sei etwas für bessere Zeiten.
Immerhin auf eine Kundengruppe können sich Biomarken wie Naturkind blind verlassen: Haushalte mit hohem Einkommen wollen den Studien zufolge weiter an den hochwertigen Produkten festhalten und sogar noch mehr konsumieren. Das ist auch für Edekas ersten Naturkind-Markt eine gute Nachricht: Wohl nicht zufällig liegt er in einem Neubaugebiet mit urbanen Eigentumswohnungen für Gutverdiener.
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Lebensmittel: Der Preisschock beendet den Bio-Boom - WELT - WELT
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