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Thursday, November 4, 2021

Wie weggeworfene Lebensmittel dem Klima schaden - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

29,5 Tonnen: So viele Lebensmittel werden auf der Welt pro Sekunde weggeworfen – das ist ungefähr das Gewicht fünf aus­gewachsener afrikanischer Elefanten. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt der in diesem Jahr veröffentlichte Food Waste Report Index der Vereinten Nationen (UN), der auf Zahlen von 2019 basiert. Jährlich sind das 931 Millionen Tonnen, die daheim, im Lebensmitteleinzelhandel und in der Gastronomie weggeworfen werden. Doch das ist längst nicht alles: Eine Studie der Umweltorganisation WWF kommt zu dem Schluss, dass pro Jahr weltweit 1,2 Milliarden Tonnen schon in der Landwirtschaft verloren gehen, bevor daraus überhaupt ein Produkt entstanden ist. Etwa 40 Prozent aller produzierten Lebensmittel landen demnach im Abfall.

Wie wirkt sich diese Verschwendung auf das Klima aus? Dazu haben Forscher mit einer in der Fachzeitschrift Nature Food veröffentlichten Datenbank zum Treibhausgasausstoß der globalen Lebensmittelindustrie erstmals Zahlen vorgelegt. Sie zeigen, dass das Ernährungssystem mit den Prozessen rund um die Herstellung, den Verkauf und den Verzehr eines Produkts 2015 für ein Drittel der menschen­gemachten Treibhausgasemissionen verantwortlich war. Da laut Food Waste Report Index ein Drittel aller Lebens­mittel weggeworfen werden, sind die für die ­Tonne produzierten Waren für acht bis zehn Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich, rechnet die UN vor.

In Deutschland hat das Johann Heinrich von Thünen-Institut im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erstmals eine Gesamtbilanz mit allen Lebensmittel­abfällen von der Erzeugung bis zum Verbrauch vorgelegt. Demnach werfen die Deutschen zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel im Jahr weg. Das Thünen-Institut hält sieben Millionen Tonnen davon für vermeidbar.

Mit Vorsicht zu genießen

All diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen: An vielen Stellen handelt es sich um Hochrechnungen und Schätzungen mit mal engeren, mal weiteren Verschwendungs-Definitionen. Noch gibt es nicht viele Studien zu diesem Thema, Vergleichswerte fehlen. Aber klar ist: Man könnte viele Treibhausgas­emis­sionen einsparen. Aufgrund der neuen Zahlen erhält die Debatte nun mehr Aufmerksamkeit beim Kampf gegen die Erderwärmung. Eine Stiftung von Amazon-Gründer Jeff Bezos spendete im Rahmen der Weltklimakonferenz in Glasgow zwei Milliarden Dollar, eine Milliarde für das Pflanzen von Bäumen, die andere für die Transformation landwirtschaftlicher Systeme, um höhere Ernteerträge zu erzielen und die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. In Glasgow soll am Freitag und Samstag auch das globale Ernährungssystem Thema sein, wenn über Naturschutz und nachhaltige Landnutzung gesprochen wird. Laut UN sind Möglichkeiten zur Verringerung der Lebens­mittelverschwendung ­bisher größtenteils „ungenutzt geblieben“.

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Das Problem ist nicht nur eines der ­westlichen Wohlstandsgesellschaften. Der Food Waste Report Index, der unterschiedliche Einzelstudien heranzieht, gibt zum Beispiel an, dass in Deutschland pro Kopf im Jahr 75 Kilogramm in Privathaushalten weg­geworfen werden. In Ghana (84 Kilogramm), Kenia (99) und im Libanon (105) sind es deutlich mehr. „Das liegt auch daran, dass es in solchen Ländern oft schlechtere Lagerungsmöglichkeiten gibt“, sagt Felicitas Schneider vom Thünen-Institut, die als Autorin an der Studie für das BMEL mitgewirkt hat. Und die Ess­gewohnheiten unterscheiden sich von denen der Westeuropäer. Nichtsdestotrotz: Die Lebensmittelverschwendung ist ein globales Problem, keineswegs nur eines der hoch entwickelten Industrienationen.

Da ein Großteil auf Privathaushalte zurückgeht, liegt es für Felicitas Schneider nahe, bei jedem Einzelnen anzusetzen und zunächst ein Problembewusstsein zu schaffen. Wer nur so viel kauft, wie er auch isst, wird mit seinem Verbraucherverhalten langfristig dafür sorgen, dass erst Supermärkte und im Anschluss auch Produzenten überall auf der Welt die Lebensmittelherstellung der Nachfrage anpassen – und irgendwann weniger Treibhausgase ver­ursachen. „Es gibt kaum Möglichkeiten, andere Maßnahmen zu ergreifen“, sagt Schneider, die für Kompetenzschulungen schon in jungem Alter plädiert. Auch Technologien können helfen: Mittlerweile gibt es Food-Apps, die sich um eine effiziente Resteverwertung bemühen.

Das Suchen nach Lebensmitteln in den Abfällen von Supermärkten ist in Deutschland verboten.

Das Suchen nach Lebensmitteln in den Abfällen von Supermärkten ist in Deutschland verboten. : Bild: AFP

Gefragt ist aber auch die politische Führung, die in Deutschland bisher vor allem auf Freiwilligkeit und Aufklärung gesetzt hat. Vor der Weltklimakonferenz forderte ein Zusammenschluss von 15 Dachorganisationen, unter ihnen der WWF, das Institut für Welternährung und die Deutsche Umwelthilfe, in einem Papier, dass die Lebensmittelverschwendung bis 2030 halbiert wird. Gelingen könne dies mit mehr Ernährungsbildung, einer verbindlichen Reduzierung der Verschwendung, Ge­mein­schaftsverpflegung mit höherem Bio-Anteil, der Förderung von Ernährungs­räten und einer Fleischabgabe.

Was bringt ein Wegwerf-Verbot?

Auch die künftige Ampelkoalition hat das Problem im Blick. Die Wahlprogramme zeigen: Alle drei Parteien wollen sich für eine Reduzierung der Lebensmittelverschwendung einsetzen. Die FDP schlägt vor, das Mindesthaltbarkeitsdatum durch ein dynamisches Verderbslimit zu ersetzen. Eine Haftungserleichterung für Lebensmittelspenden könne dabei helfen, die Verschwendung zu verringern. Die Ideen von SPD und Grünen gehen noch weiter: Sie wollen es Lebensmittelhändlern und -produzenten verbieten, genießbare Nahrungsmittel wegzuwerfen.

Dass ein solches Gesetz neben Händlern auch Produzenten einschließen würde, für die bei sinkenden Erzeugerpreisen die Ernte zum Teil ein Verlustgeschäft darstellt, könnte sich auf den Kampf gegen das Wegwerfen positiv auswirken. Schließlich kommt die Studie im Auftrag des BMEL zu dem Ergebnis, dass nur vier Prozent der weggeworfenen Produkte in Deutschland auf den Lebens­mittel­einzelhandel zurückzuführen sind. Einen viel größeren Anteil haben Primärproduktion (12 Prozent), Verarbeitung (18 Prozent), Außer-Haus-Verpflegung (14 Prozent) und Privathaushalte (52 Prozent).

Felicitas Schneider ist dennoch „eher skeptisch“. Sie führt Frankreich, das als erstes Land eine solche Regelung eingeführt hat, als Beispiel an: „Die Menge der gespendeten Lebensmittel hat sich zwar vergrößert, die Qualität aber verschlechtert.“ Die sozialen Einrichtungen seien mit Lebensmitteln überflutet worden. Um eine gute gesetzliche Regelung zu finden, brauche es viele Diskussionsrunden. Zudem sei nicht nur die Politik in den einzelnen Ländern gefragt: „Wichtig wäre es, die G 20 dafür zu gewinnen, etwas zu tun. Auch weil sie eine Vorbildfunktion haben.“ Einsparpotentiale sieht sie zudem bei Produktion und Verarbeitung – durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Absatz­planung etwa. Doch am Ende wird es vor allem auf die Verbraucher ankommen.

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