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Saturday, August 28, 2021

Ethylenoxid in Lebensmitteln: Viele Hersteller rufen ihre Produkte zurück – was steckt dahinter? - Lausitzer Rundschau

Zuerst waren es die Eiscreme-Produkte von Snickers, Bounty, Twix und M&M’s. Es folgten Curry-Gerichte, Instant-Nudeln und vegane Käse-Sticks. Und zuletzt betraf es Fitness-Riegel der Marke Seitenbacher. All diese Produkte mussten zurückgerufen werden. Der Grund: Bei Kontrollen wurden Rückstände von Ethylenoxid gefunden – ein Wirkstoff, der in der EU nicht zugelassen ist.

Ethylenoxid ist ein Pflanzenschutz- und Begasungsmittel und wird als Desinfektionsmittel gegen Pilze und Bakterien verwendet. Der Wirkstoff und dessen Abbauprodukt 2-Chlorethanol wird vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) als „erbgutverändernd und krebserzeugend“ eingestuft. „Einen Richtwert ohne Gesundheitsrisiko gibt es somit nicht und Rückstände des Stoffes in Lebensmitteln sind grundsätzlich unerwünscht“, teilte das BfR mit. In der Europäischen Union ist Ethylenoxid seit 1986 verboten – in Deutschland sogar bereits seit 1981.

Ethylenoxid seit 1981 in Deutschland verboten

Doch immer wieder werden in Lebensmitteln, die in Deutschland verkauft werden, Rückstände des Stoffes nachgewiesen. Besonders belastet sind Sesamprodukte sowie Lebensmittel, denen die Zusatzstoffe Johannisbrotkernmehl (E410) oder Guarkernmehl (E412) hinzugefügt wurden. Diese Zutaten werden als Verdickungsmittel eingesetzt und aus anderen Ländern importiert. Sesam und Guarkernmehl kommen häufig aus Indien, Johannisbrotkernmehl aus der Türkei. Dort wird Ethylenoxid zur Bekämpfung von Bakterien und Pilzen sowie zur Desinfektion von Schiffscontainern weiterhin eingesetzt.

EU empfiehlt, alle belasteten Lebensmittel zurückzurufen

Erste Fälle von mit Ethylenoxid belastetem Sesam traten im September 2020 auf. Der Stoff wurde in sesamhaltigen Produkten wie Tahin, Müsli, Knäckebrot, Gebäck, Sesamöl oder Salattoppings nachgewiesen. „Auffällig war vor allem Sesam aus Indien, der zum Teil sehr hoch belastet war – bis zum 500-fachen des erlaubten Höchstgehaltes“, teilte die Verbraucherzentrale Hamburg mit. Der Höchstgehalt, der in der EU zulässig ist, liegt bei 0,05 Milligramm pro Kilogramm – weniger lässt sich analytisch nicht bestimmen. „Eine Verpflichtung zur Angabe des Ursprungs gibt es bei Sesam oder Sesamprodukten nicht, sodass auf dem Etikett die Herkunft des Sesams nicht zu erkennen ist“, schreibt die Verbraucherzentrale weiter.

Bei den jetzigen Fällen handelt es sich um belastetes Johannisbrotkernmehl aus der Türkei. Wie groß die Ausmaße sind, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Laut „Lebensmittel Zeitung“ sind 2020 allein in Deutschland über 360 Tonnen „Verdickungsstoffe aus Johannisbrot“ aus der Türkei importiert worden. Da der verunreinigte Zusatzstoff in ganz Europa zum Einsatz kam, musste die EU handeln. Mitte Juli haben sich die Mitgliedsstaaten darauf verständigt, dass alle Lebensmittel öffentlich zurückgerufen werden müssen, die mit Ethylenoxid belastendes E410 enthalten – auch wenn im Endprodukt die Nachweisgrenze nicht überschritten wird. „Auch kleinste Mengen des krebserregenden Stoffes könnten für Verbraucher ein Gesundheitsrisiko darstellen“, heißt es in der Begründung.

Lebensmittel-Rückrufe werden in Europa unterschiedlich gehandhabt

Trotz der EU-Empfehlung werden Rückrufe in Europa weiterhin unterschiedlich gehandhabt: „Während in Frankreich bereits hunderte Produkte wegen belastetem E410 vom Markt genommen wurden, sind in Deutschland bisher nur wenige Warnungen ergangen“, sagt Dario Sarmadi, Pressesprecher der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. „In einem Brief an die Verbraucherminister der Länder haben wir bereits vor Wochen die Sorge geäußert, dass Lebensmittelunternehmen die Problematik nicht mit ausreichender Priorität behandeln.“ In erster Linie sind die Hersteller für Rückrufe verantwortlich. „Die Behörden sind jedoch in der Verantwortung, Rückrufe anzuordnen, wenn Unternehmen nicht handeln, obwohl dies geboten wäre“, erklärt Sarmadi. Das Thema Lebensmittelüberwachung ist in Deutschland Ländersache. Baden-Württemberg will der EU-Vereinbarung nicht folgen. Das Verbraucherschutzministerium hält amtliche Maßnahmen nur dann für geboten, wenn Ethylenoxid oder das Abbauprodukt 2-Chlorethanol tatsächlich in den Endprodukten nachweisbar ist. „Diese Vorgehensweise in Baden-Württemberg entspricht nach hier vorliegenden Informationen grundsätzlich auch derjenigen in anderen Bundesländern“, teilt das Ministerium auf Anfrage mit.

Hersteller Mars in der Kritik

Wie komplex die Rückruf-Situation in der EU ist, verdeutlicht das Beispiel Mars. In Eiscreme-Produkten des Herstellers wurde bereits Ende Juli Ethylenoxid im Zusatzstoff E410 gefunden. In Schweden, Rumänien oder Österreich rief Mars die Produkte umgehend zurück. In Deutschland gab es keine Aufforderung, sodass die belasteten Chargen weiter verkauft wurden. Laut Mars waren die Mengen an verunreinigtem Johannisbrotkernmehl in den Eiscreme-Produkten sehr gering. „Diese geringe Konzentration stellt kein Risiko für Verbraucher dar“, begründete das Unternehmen seine Entscheidung. Erst am 10. August entschied sich die Firma nach heftiger Kritik von Foodwatch für einen freiwilligen Rückruf.

Damit belastete Stoffe in der Europäischen Union nicht in die Lebensmittelproduktion gelangen, hat die EU verstärkte Grenzkontrollen eingeführt. Das betrifft vorerst nur Sesam-Lieferungen aus Indien. „Gegenwärtig wird auf nationaler und auf EU-Ebene geprüft, ob auch weitere Erzeugnisse zukünftig verstärkten Kontrollen bei der Einfuhr zu unterziehen sind“, teilte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit mit.

Alle aktuellen Lebensmittelwarnungen und -rückrufe sind online unter www.lebensmittelwarnung.de zu finden.

Foodwatch startet Petition

„Obwohl seit etwa vier Wochen klar ist, dass Produkte, die mit Ethylenoxid belastetes Johannisbrotkernmehl (E410) enthalten, öffentlich zurückgerufen werden müssen, ist in Deutschland bislang keine einzige Warnung eingegangen. Im Vergleich dazu sind in Frankreich bereits hunderte Eiscremes mit E410 zurückgerufen worden“ – das kritisiert die Organisation Foodwatch auf Ihrer Internetseite. In einer kürzlich gestarteten Online-Petition fordert sie jetzt die Lebensmittelbehörden der Länder auf, „die Verarbeitung von E410 bei allen Lebensmittelunternehmen zu überprüfen und Rückrufe konsequent durchzusetzen“. Laut Foodwatch haben bereits mehr als 50 000 Menschen unterschrieben. Eine konkrete Reaktion aus der Politik gibt es noch nicht.

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